Runter mit dem Zucker
Wertiger, gesünder, leckerer
Es waren nicht zuletzt seine Kundinnen und Kunden, die Marlon Gnauck drauf gebracht haben. „Fast immer, wenn Torten bei uns bestellt wurden, gab es den Zusatz: ‚Aber bitte nicht so süß‘.“ Dabei ist es weithin geltende Meinung, dass klassische Rezepte durch weniger Zucker kaputt gemacht würden.
Gnauck sieht das anders. In der Nachkriegszeit waren Zucker, Fett und Ei Zeichen des Wohlstands. Und damit auch Zeichen der Wertschätzung gegenüber den Gästen. Die Zeiten aber haben sich geändert. Die Zutaten gibt es heute im Überfluss. Andere Themen stehen im Fokus. Allen voran die Gesundheit.
Für den Dresdner Bäcker war irgendwann klar: „So geht es nicht weiter. Unabhängig von irgendwelchen Überlegungen des Gesetzgebers muss man ehrlich zugeben: Viele unserer Produkte sind schlicht zu süß.“
Beispiel Gelee. Es besteht aus drei Grundzutaten: Wasser, Gelatine, Zucker. Ergänzt durch Farbstoff und Aroma. Statt 250 Gramm Zucker auf 1 Liter Wasser zu geben, ersetzt Gnauck die Hälfte der Flüssigkeit heute durch Fruchtsaft.
Damit löst er mehrere Probleme. Zucker arbeitet – ebenso wie Salz, Fett, Hefeextrakt und Säure – als Geschmacksverstärker. Den auf 100 Gramm pro Liter reduzierten Zucker ergänzt er auf diese Weise mit Fruchtaromen sowie geschmacksverstärkender Fruchtsäure. Die weitere Zugabe von Farbstoff oder Aroma erübrigt sich.
Geeignet sind dafür helle Säfte. Bei dunklen lässt sich maximal ein Viertel des Wassers durch Saft ersetzen. Zucker zu reduzieren, ist dann nicht in vollem Umfang möglich.
Argumentativ wird der Zuckerreduktion oft die geringere Haltbarkeit des Gelees entgegengesetzt. Zucker wirkt schließlich konservierend. Aber wenn ein Gelee nach ein bis zwei Wochen in der Kühlung auf einem Kuchen Schimmel ansetzt, dürfte der Rest des Gebäcks schon längst kaum noch genießbar sein. Also ein eher theoretisches Problem.
Auch in Fruchtmassen kommt in der Gnauckschen Bäckerei inzwischen deutlich weniger Zucker zum Einsatz. Ausgeglichen wird er durch den Einsatz von Zitronensaft sowie die Erhöhung des Fruchtanteils.
Bei Makronenmasse ist purer Verzicht angesagt. Hier kommt für den Bäcker nur noch Eiweiß zur Marzipan-Rohmasse. Geschmacklich allemal überzeugend.
Pudding ist eine andere klassische Zuckerbombe. Hier empfiehlt das Lehrbuch 140 Gramm Zucker pro Liter Milch. Marlon Gnauck ist inzwischen bei 50 Gramm angekommen. Startpunkt waren 100 Gramm, die Jahrzehnte in der Familienbäckerei gesetzt waren. Von dort aus ging es auf 80 Gramm. Pro Jahr verschwanden weitere 10 Gramm pro Liter aus der Rezeptur. Im Umkehrschluss ging der Fettgehalt der Milch rauf – von 1,5 auf 3,5 Prozent. Die Vollmilch ist wichtig, um einen Teil des geringeren geschmacksverstärkenden Zucker-Effektes aufzufangen.
Vier Jahre dauerte die schrittweise Reduktion. Anders war sie kaum möglich. Denn eines ist klar: Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind an Geschmäcker gewöhnt. Die Brechstange hilft da nicht. Die hatte Gnauck mal bei der Farbe angesetzt. Plötzlich war der Pudding weiß und die Kunden fanden das ungewöhnlich. Also kam die Farbe wieder rein und wurde dann schrittweise reduziert.
Gewohnheiten lassen sich ändern – eben in kleineren Schritten. Bei 50 Gramm Zucker pro Liter ist im Pudding dann aber auch Schluss. „Eine gewisse Grundsüße muss schon sein“, sagt Gnauck.
Bisher hat sich der Bäcker vor allem an Grundrezepte gemacht. Darin steckt das Risiko, gleich mehrere Produkte auf einmal zu verändern. Andererseits spielt so der Wareneinsatz kaum eine Rolle. Mehrkosten durch wertigere Produkte fallen kaum ins Gewicht oder werden durch wegfallende Vorprodukte ausgeglichen.
Für Gnauck stimmt die Kalkulation. Auch aus einem anderen Grund. „Wie klagen immer über die Discounter. Aber wenn wir hochwertige Preise wollen, müssen wir auch hochwertige Produkte anbieten, die ein Discounter nicht realisieren kann.“ Mit seinem Weg macht er seine Produkte nicht nur weniger ungesund, sondern auch wertiger. So entzieht er sich komplett der Vergleichbarkeit mit Industrie-Backwaren. Gnaucks Kundinnen und Kunden jedenfalls reagieren durchweg positiv auf die Reduktion.
Nächstes Ziel sind Teige, in denen der Zucker auch backtechnologische Wirkung hat, also Sandmassen und Mürbeteige. Ist der Zucker im Pudding oder Fruchtmassen lediglich Geschmacksgeber und -verstärker, erfüllt er in diesen Teigen wichtige Funktionen im Backprozess. Ihn zu reduzieren oder zu ersetzen ist also eine ungleich größere Herausforderung.
Auch die Forschung setzt sich mit dem Thema Zuckerreduktion auseinander. So steht das Thema zum Beispiel auf dem Plan der Universität Cork in Irland. Dort hat man sich Burger-Buns vorgenommen und den Zuckereinsatz zunächst schlicht halbiert – von 10 auf 5 Prozent der Teigmenge.
Das Ergebnis war nicht überzeugend. Zwar stieg das Volumen der Brötchen, die Krume wurde weicher sowie offener. Das aber war bei den Buns gar nicht gewünscht. Zugleich sank das Aroma und die Brötchen blieben beim Backen blass. Vor allem verkürzte sich die Haltbarkeit der Buns. Bereits nach 5 Tagen setzte erster Schimmel ein. Bei vollem Zuckergehalt geschah das erst an Tag 9.
Also ging es auch hier um einen Ausgleich der Zucker-Eigenschaften. Die Antwort in Irland: Sauerteig. In diesem Fall eine Sauerteigkultur, in der die Laktobazillen, genauer der Laktobazillus Leuconostoc citreum, verstärkt Mannitol produzieren, einen Zuckeralkohol.
Dem Burger-Teig wurde 10 Prozent Sauerteig zugesetzt. Das Ergebnis überzeugte rundweg: Die Kruste wurde brauner, Volumen und Struktur der Brötchen waren wunschgerecht wieder kleiner, Aroma und Süße ausgeprägter. Die Haltbarkeit stieg auf 8 Tage. Immerhin beinahe so viel wie bei doppeltem Zuckereinsatz.
Der Verzicht auf Zucker muss Backwaren also nicht zwingend schlechter machen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Wertigkeit der Produkte steigt, damit sinkt die Vergleichbarkeit mit Industrie-Produkten. Und dabei muss der Wareneinsatz nicht einmal zwingend steigen.
Zucker als Konservierungsstoff
Im Versuch der Universität Cork verschlechterte die Halbierung der Zuckerzugabe die Eigenschaften der Burger-Buns auf allen Ebenen. Vor allem als Konservierungsstoff fehlte der Zucker, die Brötchen schimmelten schneller. Sauerteig konnte das – ebenso wie die anderen positiven Eigenschaften des Zuckers – ausgleichen.
Quelle:
Universität Cork
Fotos:
bina79
Birgit Reitz-Hofmann
HLPhoto
M.Nik Photography
Auszug aus Ausgabe 04/2019
Dieser und weitere interessante Artikel erschienen in Ausgabe 04/2019 von BROTpro. Die komplette Ausgabe kann im Alles-rund-ums-Hobby-Shop bestellt, direkt im Browser gelesen oder über die App von BROT im Google Play Store beziehungsweise Apple App Store bezogen werden.