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Alle für eine

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Wie eine Dorfgemeinschaft ihre Bäckerei erhielt

Mit einer bislang einzigartigen Aktion rettete die Bevölkerung in Wombach ihre Dorfbäckerei vor dem endgültigen Aus. Mehr als 240 Menschen gründeten eine Genossenschaft, um das ambitionierte Vorhaben zu finanzieren. Nur wenige Monate dauerte es von der ersten Idee bis zur Wiedereröffnung des Handwerksbetriebs. Ein Projekt, das Schule machen könnte.

Die Geschichte begann traurig. Im März gaben Gerhard und Silvia Endres bekannt, ihre Wombacher Bäckerei, einen hundert Jahre alten Traditionsbetrieb, schließen zu müssen. Bäckermeister Endres erkrankte schwer und konnte das Unternehmen nicht weiterführen, eine Nachfolge war nicht in Sicht. „Das war ein Schock“, erinnert sich Hilmar Ullrich, ein Wombacher, der sich in seiner Heimat tief verwurzelt fühlt. Nicht nur wegen des Schicksals des Heimatbäckers machte er sich Sorgen, sondern auch, weil er die Nahversorgung mit handwerklichen Backwaren über eine lokal verwurzelte Bäckerei gefährdet sah.

Der Standort der Bäckerei war gut. „Das Potenzial erkennen Filialisten aber auch“, so Ullrich. Bei einer Faschingsveranstaltung saß er mit Bekannten zusammen und überlegte: „Wie könnte es uns gelingen, eine Bäckerei im Dorf zu behalten?“ Was im wahrsten Sinne als „Schnapsidee“ begann, ging dem Marketingfachmann nicht mehr aus dem Kopf: Eine Genossenschaft könnte die Lösung sein. Schließlich kannte man das aus anderen Branchen und Ullrich arbeitete seit Langem im Vertrieb einer genossenschaftlichen Bank.

Der Plan nimmt Form an

Wie wäre es also, wenn der Betrieb nicht durch einen einzigen möglichen Nachfolger – oder eine Nachfolgerin – gestemmt werden müsste, sondern wenn sich viel mehr Schultern die finanzielle Last einfach teilten? „Eine Genossenschaft wird gegründet, wenn viele Menschen dasselbe wollen und dann auch nutzen“, erklärt Ullrich. Jedes Mitglied in dem Modell ist also Investor/in und Nutznießer/in zugleich. „Wir wollten es versuchen.“

Bevor es in die konkrete Umsetzung gehen konnte, gab es allerdings noch ein paar offene Fragen zu klären: War die Familie Endres mit so einer Lösung überhaupt einverstanden?

Etwa 300 Interessierte kamen zur ersten Infoveranstaltung zur Dorfgenossenschaft Wombach

Wie hoch war der finanzielle Bedarf? Und nicht zuletzt: Wer wäre bereit, für eine Genossenschaft als angestellter Bäckermeister oder als Bäckermeisterin den Betrieb mitsamt der Backstube zu führen? Dass ein solches Vorhaben aufgrund der gesetzlichen Lage ohne Meistertitel nicht durchführbar ist, war Ullrich schnell klar.

Zunächst kamen er und seine Mitstreiter/innen über einen guten Freund mit Familie Endres in Kontakt. „Die Familie war sehr offen für die Idee. Sie wollte den Traditionsbetrieb und auch die damit verbundenen Arbeitsplätze gerne erhalten“, erinnert sich Ullrich. Kurz darauf ergab sich, ebenfalls über persönliche Beziehungen, ein weiterer wichtiger Kontakt: Der Bäckermeister und Brotsommelier Simon Riethmann kam ins Gespräch. In ihm sah man einen geeigneten Mann, die Bäckerei zu betreiben und mit eigenen Ideen voranzubringen.

Das Team wächst

2014 hatte Riethmann seine Meisterprüfung in Weinheim abgelegt. In der Folgezeit verschlug es ihn ins Ausland, nach Australien und Norwegen, da er die Welt sehen und nochmal ganz andere Ansätze in der Bäckerei lernen wollte. „2019 kam ich zurück, um in Weinheim meine Ausbildung zum Brotsommelier zu absolvieren“, sagt Riethmann. Im Sommer 2020 hielt er die Urkunde endlich stolz in der Hand und suchte sich in einer kleinen Bäckerei in Süddeutschland ein Auskommen. „Einmal wöchentlich habe ich außerdem Brot unter eigenem Label in der Region verkauft“, sagt er.

Gerade stand er vor der entscheidenden Frage: „Mache ich mich jetzt selbständig?“, da wurden Riethmann und Ullrich sowie weitere Fans der Genossenschaftsidee an einen Tisch gebracht. Offen für Neues, hörte sich Riethmann das mögliche Vorhaben an. „Am Anfang war ich schon ein wenig skeptisch, aber dann sah ich darin eine lohnende Sache, meine Zeit zu investieren.“

Derweil wurden Ullrich und seine Mitstreiter/ -innen nicht müde, weitere Unterstützung mit ins Boot zu holen. Die Idee sprach sich im Dorf herum. Eine erste Info-Veranstaltung sollte bei potenziellen Investor/innen Interesse wecken und ihnen die Grundsätze einer Genossenschaft näherbringen. „Es kamen 300 Leute zu diesem ersten Treffen“, freut sich Ullrich noch heute, wenn er davon spricht. Es herrschte regelrecht Aufbruchstimmung und die Initiatoren erkannten: „Das konnte wirklich etwas werden.“

Mehrere Teilzeitkräfte wuppen den Laden, bei Engpässen helfen Genossenschaftsmitglieder aus

Gründung der Genossenschaft

Um nun aber tatsächlich eine Genossenschaft zu gründen, war noch einiges zu tun. „Wir hatten ermittelt, dass mindestens ein sechsstelliger Betrag gebraucht wurde, um die Bäckerei samt Inventar und den verbliebenen Rohstoffen auszulösen“, sagt Ullrich. Ausreichend Eigenkapital sei auch eine Grundvoraussetzung für die Gründung der Genossenschaft. „Theoretisch genügen dann bereits drei Menschen, so steht es im Genossenschaftsgesetz.“

Formal braucht es einen Eintrag im Genossenschaftsregister, „dafür muss alles korrekt ablaufen, zum Beispiel die Gründungsversammlung“, erklärt Ullrich. Schützenhilfe erhielten die Wombacher und Wombacherinnen vom Genossenschaftsverband Bayern. „Der unterstützte uns bei der Gründung und ist auch Prüfverband. Das heißt, er kann notwendige Wirtschaftsprüfungen durchführen.“

Zunächst reichten die Gründerinnen und Gründer dafür einen Businessplan ein, dann wurde ein Gutachten erstellt. „In unserem Fall war das einfacher, weil wir auf die Zahlen des bereits bestehenden Geschäftes zurückgreifen konnten“, erklärt Ullrich. Als nächstes brauchte es notarielle Einträge und eine Bestätigung vom Amtsgericht. „So etwas kann dauern, aber wir haben Druck gemacht.“

In der Satzung einer Genossenschaft müssen außerdem Zweck und Gegenstand des Unternehmens festgelegt sowie genau beschrieben sein. Den Zweck fassten die Wombacher Gründungsmitglieder weit, um neben der Bäckerei in der Zukunft weitere Projekte realisieren zu können. „Uns geht es um die Förderung der gesamten Lebens- und Wohnqualität des Ortes Wombach sowie den Erhalt der Nahversorgung durch regionale Anbieter“, fasst es Ullrich zusammen.

Zwischen 120 und 140 Kilogramm Brot produziert das Backstubenteam täglich

Stimmberechtigt sind alle Mitglieder mit je einer Stimme, unabhängig von der Menge erworbener Anteile. Ein fünfköpfiger Aufsichtsrat wurde gegründet und bestimmte fünf Personen für den Vorstand. „Ihnen obliegt der komplette wirtschaftliche Geschäftsbetrieb, also zum Beispiel die Finanzbuchhaltung, das Personalwesen und das Marketing.“ Letzteres ist Hilmar Ullrichs Ressort, der als eines der ehrenamtlichen Mitglieder in den Vorstand gewählt wurde.

Breiter Rückhalt

Bereits wenige Wochen nach Bekanntgabe ihrer problematischen Situation hatte Familie Endres am 31. März 2022 die Bäckerei geschlossen. Am 8. Mai wurde die Dorfgenossenschaft mit 246 Mitgliedern gegründet. „Und am 20. Juni machten wir die Bäckerei unter dem Namen Wombicher Beck schon wieder auf“, so Ullrich. Knapp 700 Menschen zeichneten bis heute Genossenschaftsanteile, die meisten gleich mehrere. „Ein Anteil kostete 150 Euro, bis zu zehn konnten pro Person erworben werden“, erklärt Ullrich. „Unsere Erwartungen sind deutlich übertroffen worden.“

Von dem Kapital erwarb die Genossenschaft die Bäckerei, Silvia Endres lebt im selben Gebäude darüber. Ihr Mann Gerhard starb nach schwerer Krankheit im August im Alter von 68 Jahren – nachdem sein Lebenswerk gerettet war. Simon Riethmann wuppt mit zwei Gesellen und einer weiteren Bäckermeisterin die Backstube. Drei Personen arbeiten als Teilzeitkräfte im Laden. „Wenn es mal eng wird, helfen Genossenschaftsmitglieder im Verkauf aus“, erklärt der Bäckermeister.

Zwischen 120 und 140 Kilogramm Brot produziert das Backstubenteam täglich, am Wochenende mehr, darunter etwa 20 bis 40 Kilogramm Spezialbrote. Neben regionalem Purpurweizen und Waldstaudenroggen bezieht Riethmann viele Rohstoffe von der Bäko. „Die Franken und Fränkinnen mögen es klassisch, darum backen wir zum Beispiel einfaches Mischbrot 80/20.“ Darüber hinaus hat Riethmann großen Gestaltungsspielraum. „Das einzige, das mich einschränkt, ist, wenn die Kundschaft etwas nicht kauft“, sagt er.

So kommt zum Beispiel ein besonderer Sauerteig zum Einsatz, den der Bäckermeister aus japanischen Kōji-Pilzkulturen gezogen hat. „Seit dem ersten Tag backe ich mit dem Kōji-Sauer, natürlich muss nebenbei aber auch alles andere laufen”, sagt er. Hilmar Ullrich ist begeistert, sogar einen Brotsommelier für Wombach gewonnen zu haben: „Es ist schön für uns, dass wir die Chance hatten, die Bäckerei zu erhalten. Aber durch die Expertise von Simon setzen wir noch einen drauf“, sagt er. „Wir haben mit Sicherheit eines der besten Brote in der Region.“

In seiner Backstube hat Riethmann viele Freiheiten, auch wenn er als Bäckermeister nur ein Angestellter ist

An einem Strang

Etwas gewöhnungsbedürftig war es für Riethmann allerdings, seine Ideen und Konzepte zunächst mit Laien diskutieren zu müssen. „Für den Bäcker ist das manchmal anstrengend, weil man sehr viel erklären muss“, sagt er. Ist es denn zum Beispiel zwingend notwendig, für Brot wirklich Rotkornweizen für 8,50 Euro das Kilo zu verwenden? Nicht selten musste der Bäckermeister bei solchen Fragen erst einmal Überzeugungsarbeit leisten.

Gleichzeitig schätzt er die andere Perspektive der Genossenschaftsmitglieder. „Man findet immer Wege, am Ende das Beste herauszuholen. Für mich ist das ein großes Plus. Wenn man darauf aus ist, seinen Kopf durchzusetzen, ist man bei so einem Projekt mit Sicherheit falsch.“

Ziel aller Beteiligten ist es, die Bäckerei wirtschaftlich stabil zu halten und schwarze Zahlen zu schreiben. „Dafür nutzen wir alles, was uns dabei hilft“, sagt Marketing-Experte Ullrich. Neben einer Website gibt es einen regelmäßigen Newsletter mit Angeboten. Und auch einige Wiederverkaufsstellen werden mit Backwaren beliefert. Über eine Whats-App-Gruppe informiert der Vorstand die Genossenschaftsmitglieder über Aktuelles und auch in sozialen Netzwerken ist die Gruppe aktiv. „Ideen haben wir viele“, sagte Ullrich.

Und wenn die aktuellen Mitglieder doch irgendwann das Interesse verlieren und ihr Kapital aus dem Projekt ziehen wollen? „Erst einmal haben sich alle verpflichtet, für drei Jahre zu investieren. Bis dahin wollen wir auf stabilen Beinen stehen“, erklärt das Vorstandmitglied. Unter Renditegesichtspunkten lohne sich der finanzielle Einsatz allerdings derzeit nicht. „Es gibt keine Ausschüttung. Der Benefit für die Mitglieder besteht darin, dass es die Bäckerei überhaupt in Wombach gibt.“

Dafür sei es wichtig, alle Beteiligten emotional bei der Stange zu halten. „Es ist ein wesentlicher Punkt, dass ein solches Projekt aus der Gemeinschaft heraus gewollt ist“, sagt Ullrich, „nur so kann es auf Dauer funktionieren.“


Förderung des Projektes

Neben dem Eigenkapital kann die Genossenschaft auch auf Gelder des Amtes für ländliche Entwicklung Bayern zurückgreifen. Hier stellten die Mitglieder einen Förderantrag, der bewilligt wurde. Zum Beispiel wird bei einer Neuanschaffung bis 85.000 Euro ein 45-prozentiger Anteil der Summe vom Fördertopf gedeckt. Allerdings muss diese zunächst vollständig vorfinanziert werden. Mehr Infos zum Förderprogramm gibt es auf der Internetseite des Bayerisches Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

stmelf.bayern.de/landentwicklung


BÄCKEREI WOMBICHER BECK
Inhaberin: Dorfgenossenschaft Wombach eG
Wombacher Str. 90
97816 Lohr am Main
Telefon: 09352/5100
www.wombicher-beck.de

info@dorfgenossenschaft-wombach.de


Auszug aus Ausgabe 01/2023

Dieser und weitere interessante Artikel erschienen in Ausgabe 01/2023 von BROTpro. Die komplette Ausgabe kann im Alles-rund-ums-Hobby-Shop bestellt, direkt im Browser gelesen oder über die App von BROT im Google Play Store beziehungsweise Apple App Store bezogen werden.

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Edda Klepp

Edda ist Chefredakteurin bei BROTpro und BROT. Seit 2016 bewegt sie sich in der backenden Branche und ist auch privat eine begeisterte Brotbäckerin. Wenn sie nicht gerade schreibt oder Teige knetet, ist sie häufig unterwegs zu Reportagen und Konferenzen oder lässt die Seele baumeln bei einem guten Buch und einer Tasse Tee.