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Gitta Connemann im Interview: „Eines meiner schönsten Ehrenämter“

Gitta Connemann im Interview: „Eines meiner schönsten Ehrenämter“

Die Rechtsanwältin Gitta Connemann ist seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2021 Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion auf Bundesebene. Während ihrer Zeit als Brotbotschafterin 2022 besuchte sie bundesweit zahlreiche Bäckereien. BROTpro sprach mit ihr über die Vielfalt des Backhandwerks, notwendigen Bürokratieabbau und die Sinnlichkeit von Hefezöpfen.

Gitta Connemann bei der Ernennung zur Brotbotschafterin 2022 mit Hauptgeschäftsführer des ZV, Daniel Schneider (links), und Bäcker-Präsident Michael Wippler

BROTpro: Frau Connemann, im Mai 2022 wurden Sie zur Brotbotschafterin ernannt. Wie blicken Sie auf das vergangene Jahr zurück?

Gitta Connemann: Als der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes, Daniel Schneider, mich anrief und fragte, ob ich mir vorstellen könne, Brotbotschafterin zu werden, habe ich mit der Maßgabe zugesagt, dass ich dann auch in dieser Funktion unterwegs sein werde. Das Telefonat fand im Januar 2022 statt, also weit vor der Krise. Es war nicht abzusehen, wie sich das Jahr entwickeln würde. Für mich bedeutete es erst einmal die Verheißung auf eine Brotreise. Und die Chance darauf, ein Handwerk kennenzulernen, das zwar jeder von uns zu kennen glaubt, aber am Ende doch nicht weiß, was sich dahinter verbirgt. Kurz nach der Amtsübernahme schlug die Krise dann voll rein und ich habe versucht, den Betrieben beizustehen. Wann immer ich irgendwo dienstlich unterwegs war, habe ich eine Bäckerei besucht.

BROTpro: Haben Sie die Betriebe jeweils selbst ausgesucht?

Connemann: Nein. Die Gastgeber konnten eine Innungsbäckerei ihrer Wahl präsentieren. Übrigens ist es spannend zu sehen, wie viele auch Abgeordnete die Bäckerlandschaft im Auge haben. Im Regelfall wurde nicht lange überlegt, in welchen Betrieb es gehen sollte. Die allermeisten meiner Kolleginnen und Kollegen wussten das auf Anhieb ganz genau. Sie hatten einen Lieblingsbäcker oder eine Lieblingsbäckerin. Das finde ich außergewöhnlich. Wenn ich nach dem Tischler deiner Wahl, dem Metallbauer oder Schuster fragen würde, käme die Antwort sicher nicht wie aus der Pistole geschossen. Das zeigt nochmal, wie elementar das Backhandwerk ist. Es ist nah bei den Menschen. Das Jahr hat mich zutiefst erfüllt.

BROTpro: Was für Betriebe haben Sie kennengelernt?

Als Brotbotschafterin lernte Connemann die Welt der Bäckereien auch hinter den Kulissen kennen

Connemann: Das Handwerk ist sehr divers. Zu glauben, eine Bäckerei könne das abbilden, würde der Vielfalt nicht gerecht. Ich habe den Traditionsbetrieb in der zehnten Generation kennengelernt, aber auch die Existenzgründerin, den Betriebsübernehmer oder den Kleinstbetrieb, der mit drei, vier Leuten seine Nische gefunden hat. Auf der anderen Seite habe ich die handwerkliche Bäckerei mit 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besucht. Es gab den Betrieb in der Stadtmitte, der zwischen 30 und 40 Prozent des Umsatzes aus dem Cafégeschäft, dem Catering sowie dem Snack erwirtschaftet, aber auch den am Ortsrand mit traditionellem Angebot. Ich habe Unternehmen besucht, die sich wirtschaftlich sehr gut aufgestellt haben, und ebenfalls Betriebe, die gerade vor die Wand fahren. Auch das gehört dazu. In diesem Jahr sind Betriebe gescheitert. Nicht, weil sie etwas falsch gemacht hätten, sondern obgleich sie das getan haben, was wir als Politik immer erwarten: Plant im Voraus, investiert und glaubt an die Zukunft. Diese Betriebe konnten nicht erwarten, dass es eine Energiekrise geben würde, dass die Rohstoffpreise explodieren und dass sich Arbeits- und Fachkräftemangel zudem nochmal verschärfen. Auch nicht, dass die Inflation so zuschlägt und dass sich damit natürlich auch das Kaufverhalten verändert. Diese Betriebe haben nichts falsch gemacht. Das sind honorige Familien.

BROTpro: Mit Wirtschaft und Unternehmen beschäftigen Sie sich ja nicht erst seit einem Jahr. Hat diese Brotreise trotzdem nochmal fundamental neue Erkenntnisse gebracht oder Ihr Tun in der Politik beeinflusst?

Connemann: Nein, keine fundamental neuen Erkenntnisse. Bäckerinnen und Bäcker mit ihren Betrieben sind Teil des Mittelstandes im besten Sinne und stehen damit vor den Herausforderungen, die sich dem Mittelstand in Gänze stellen. Sowohl mit den Chancen, die der Mittelstand mitbringt, zum Beispiel duale Ausbildungen anbieten zu können, als eben auch mit den Risiken, die mit der Betriebsführung verbunden sind. Was mich allerdings beeindruckt hat, war die unfassbare Hingabe an das Handwerk. Wir haben eine Million Handwerksbetriebe in Deutschland. Lebensmittelhandwerker sind unter ihnen per se etwas Besonderes. Das gilt übrigens auch für Konditoreien, Fleischereien oder Brauereien. In der Bäckerei habe ich es mit dem ursprünglichsten Handwerk zu tun, das viele Menschen anspricht und mein Herz zutiefst berührt hat. Bäckerinnen und Bäcker sind wie ihre Produkte: Sie halten, was sie versprechen.

BROTpro: Was haben Sie als Brotbotschafterin neben den Betriebsbesichtigungen an Aktivitäten verfolgt?

Zum Tag des Deutschen Brotes am 5. Mai beteiligte sich die Politikerin an der Brot-Verteilaktion in Berlin

Connemann: Neben den Besuchen vor Ort habe ich versucht, für das Handwerk zu werben, auch in meiner eigenen Fraktion, der CDU/CSU. Dazu gehört es, deutlich zu machen, dass Energieintensität keine Frage der Betriebsgröße ist. Der Fehler von vor zwei Jahren mit dem Energiekostendämpfungsprogramm darf nicht wiederholt werden. Damit wurden insbesondere die Großen unterstützt, obwohl sie im Vergleich sowieso niedrigere Betriebskosten haben. Das geht gar nicht. Eine kleine Bäckerei hat denselben Anspruch auf Fairness wie eine große. Alles andere werde ich politisch nicht mittragen. Darüber hinaus habe ich im vergangenen Jahr viel Politikberatung gemacht. Wie werden Bäcker und Bäckerinnen sichtbar? Was können sie politisch fordern und was nicht? Bis dato war das ja ein Handwerk, das nicht auf die Straße gegangen ist. Alles in allem war es ein unfassbar anspruchsvolles Ehrenamt, das viel Zeit in Anspruch genommen hat. Aber das war meine freiwillige Zeit. Und es war wahrscheinlich eines der schönsten Ehrenämter, die ich jemals haben durfte. Eines, das mich mit Ehre erfüllt.

BROTpro: Haben Sie auch mitgebacken?

Connemann: Ja.

BROTpro: Nachts?

Connemann: Nein, das nicht. Ich durfte lernen, dass Nachtarbeit für viele Bäckereien heute gar nicht mehr gilt. Viele haben Vorprodukte, die sie lange reifen lassen. Und nachts schieben dann eben nur zwei, drei Personen die Teiglinge in den Ofen. Ich durfte allerdings versuchen, Brezeln zu schlingen oder komplizierte Zöpfe zu flechten. Und ich habe auch probiert, zwei Brotteiglinge gleichzeitig mit den Händen zu formen.

BROTpro: Das ist die Königsklasse.

Connemann: Und es wird mir nie gelingen, ich bin eben keine Bäckerin.

BROTpro: Für die Branche sind aktuell nicht allein die Energiekosten ein Thema, sondern auch die Bürokratie. Welche Hebel sehen Sie dort, um Betriebe zu entlasten?

Von links: Gitta Connemann, der neue Brotbotschafter Lars Klingbeil und Bundesernährungsminister Cem Özdemir mit Michael Wippler, Patrick Zimmer und Axel Schmitt bei der diesjährigen Gala in Berlin

Connemann: Die Dosis macht das Gift. Es geht nicht um die einzelne Vorschrift, sondern um die Menge an zusätzlichen Auflagen, die am Ende den einzelnen Betrieb überfordern. Der Zentralverband hat in einem Papier im Einzelnen aufgeführt, wo er Veränderungsbedarf sieht von der Schriftformerfordernis beim Arbeitsvertrag bis hin zu Pflichten bei der Lizensierung von Verpackungen. Dem Grunde nach geht es um Vertrauen. Bürokratie ist immer ein Ausdruck des Staates, Kontrolle ausüben zu müssen. Man glaubt, da könnte irgendetwas schiefgehen, wenn nicht genau definiert ist, wie ein Kleiderhaken zu hängen hat oder ein Gasofen zu bedienen ist. Den Menschen vor Ort ein bisschen mehr zuzutrauen, wäre gut. Dazu gehört, keine weiteren Belastungen mehr zu beschließen und nur das vorzuschreiben, was wirklich erforderlich ist. Das betrifft allerdings nicht nur Bäckerinnen und Bäcker, es gilt auch, Vertrauen in Bürgerinnen und Bürger zu haben. Ich finde, Cem Özdemir ist ein reizender Kollege, aber ich verstehe keine pauschalen Werbeverbote. Die Grünen wollen das Wahlalter auf 16 Jahre reduzieren. Sie glauben, dass ein 16-Jähriger in der Lage ist, eine Entscheidung für das Land zu treffen, die vier Jahre währt. Aber sie trauen ihm nicht zu, eine Entscheidung für eine Brezel oder eben eine Eierschecke zu treffen und wollen deshalb ein Werbeverbot. Das ist für mich nicht stimmig. Traue ich den Menschen etwas zu, dann brauchen wir keine Werbeverbote. 

BROTpro: In unserem BROTTalk mit dem Deutschen Brotinstitut beenden wir Gespräche immer mit drei Fragen. Die möchten wir Ihnen zum Abschluss ebenfalls stellen. Ist ein belegtes Brot eine vollständige Mahlzeit?

Connemann: Ja.

BROTpro: Wenn Sie ein Gebäck wären, welches wären Sie?

Connemann: Ein Hefezopf.

BROTpro: Warum?

Connemann: Ein Hefezopf ist ein Gebäck, das wunderbar aufgeht, einen herrlichen Duft hat, appetitlich ist, viele Gesichter annehmen kann und jede Tafel schmückt. Ein Hefezopf ist daher immer eine Bereicherung. Ich esse am liebsten Schwarzbrot. Das ist gesund und nahrhaft. Backen tue ich beides gern. Schwarzbrot ist lecker und vernünftig. Der Hefezopf hingegen ist sinnlich, sehr unvernünftig und macht das Leben einfach wunderschön.

BROTpro: Wo sehen Sie die Welt der Bäckereien in fünf Jahren?

Connemann: Die Welt der Bäckereien in fünf Jahren wird von den Weichenstellungen in diesem Jahr, im nächsten und in den folgenden Jahren abhängen. Sie ist nicht nur von betriebswirtschaftlichen, sondern auch von volkswirtschaftlichen Entscheidungen abhängig. Und damit auch von politischen Rahmenbedingungen. Ich hoffe, dass unabhängig von den jeweiligen Parteien oder Fraktionen Menschen Entscheidungen treffen werden, die das Brot ebenso lieben wie Bäckerinnen und Bäcker.

 

Fotos: Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks
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Edda Klepp

Edda ist Chefredakteurin bei BROTpro und BROT. Seit 2016 bewegt sie sich in der backenden Branche und ist auch privat eine begeisterte Brotbäckerin. Wenn sie nicht gerade schreibt oder Teige knetet, ist sie häufig unterwegs zu Reportagen und Konferenzen oder lässt die Seele baumeln bei einem guten Buch und einer Tasse Tee.