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Feind oder Freund?

Feind oder Freund?

Mythen um Weizen entkräften

Beinahe täglich begegnen Fachkräften im Verkauf und Social-Media-Teams im Netz viele Vorurteile gegenüber Weizen und dem darin enthaltenen Gluten. Beides mache dick, dumm und krank, heißt es dann. Um den meist wenig fundierten Äußerungen freundlich und sachlich etwas zu entgegnen, hilft eine Liste häufig gestellter Fragen weiter. Mit den richtigen Antworten im Gepäck kann man selbstbewusst über das nahrhafte Getreide Weizen aufklären.

Eine typische Situation im Bäckerei-Fachgeschäft: Eine Kundin betritt unsicher den Laden, sieht sich um und versucht, die Schilder am Brotregal zu entziffern. „Haben Sie auch etwas ohne Weizen?“, fragt sie vorsichtig. Der Betrieb, der außer Weizen noch Dinkel- und Roggenbrote anbietet, ist in dieser Situation schnell aus dem Schneider. Die Kundin bezahlt, nimmt ihr Gebäck und verlässt zufrieden den Laden.

Nicht immer aber laufen die Diskussionen über das klassische Brotgetreide so glimpflich ab. „Weizen verursacht Entzündungen im Darm“, „Da sind doch überall nur Zusatzstoffe drin“, „Der Weizen ist genmanipuliert“ oder „Davon bekommt man nur Bauchschmerzen“ sind Formulierungen, die so oder ähnlich sehr oft von Kundinnen und Kunden zu hören sind. Und auch Social-Media-Verantwortliche begegnen im Netz herber Kritik sowie emotional vorgebrachten Vorbehalten.

Genährt werden die Vorurteile von reißerischen Medienberichten oder Büchern, die nicht selten Unwahrheiten sowie ungesundes Halbwissen transportieren. Wenn vermeintliche Fachleute so etwas schreiben, könnte etwas dran sein, so die Annahme von Laien. Ist die Unsicherheit einmal gesät, bekommt man sie nur schwer wieder aus dem Kopf.

Vertrauensvorschuss
Die Entscheidung des Deutschen Brotinstituts, das Weizenvollkornbrot zum Brot des Jahres zu küren und mit der Kampagne auch über die Vorteile des Getreides aufzuklären, ist dabei nur ein erster – wenn auch sehr medienwirksamer – Schritt. Handwerksbäckereien profitieren vielfach von dem Vertrauensvorschuss, den sie als regionale Betriebe innehaben.

Wer hochwertige Zutaten verarbeitet und dabei transparent über die Herstellungsweise aufklärt, wird stärker als vertrauenswürdige Quelle wahrgenommen und kann manchmal selbst hartgesottene Zweifler/innen mit Argumenten erreichen. Auf diese Weise werden die typischen Weizenmythen entkräftet und die Unternehmensmarke gleichsam gestärkt.

Kundschaft, die in den Laden kommt, ist grundsätzlich bereit für einen Kauf. Wer Fragen stellt, wird sachliche Information in den meisten Fällen zu schätzen wissen und sich möglicherweise auch überzeugen lassen. Kaum eine Person, die an der Theke Weizen kritisiert, will einer Bäckerei grundsätzlich etwas Böses. Vielmehr sollte man sich immer vor Augen halten, dass aus Sicht der Kundschaft selbst in hitzigen Debatten die Angst vor negativen Folgen des Weizenkonsums handlungstreibend ist.

Viel Gutes steckt im Weizenkorn. Die Vorurteile zum Getreide sind nicht gerechtfertigt

Argumente liefern
Welche Informationen muss man nun aber seinem Verkaufspersonal an die Hand geben, damit es sich in Weizen-Diskussionen sattelfest fühlt? Auch bei langjährigen Mitarbeitenden sollte man kein generelles Fachwissen über Bäckereitechnologie und Ähnliches erwarten, selbst wenn es gut ausgebildete Kräfte sind. Manche Kenntnisse sind im Laufe der Zeit schlicht verloren gegangen oder gerade nicht parat. Auszubildende sowie Aushilfen verfügen erst recht nicht über das notwendige Hintergrundwissen.

Für den Fall, dass Fragen kommen, ist es sinnvoll, die wesentlichen Informationen auf häufig gestellte Fragen als analoges oder digitales Infoblatt zum Nachlesen zur Verfügung zu stellen. Kurze Antworten kann man gegebenenfalls als Vorschlag formulieren. Manche Kundinnen und Kunden sind mit diesen wenigen Infos nämlich bereits zufrieden.

Wer dann tiefer in die Diskussion einsteigt, erhält ein bisschen mehr Hintergrund zum Thema Weizen im Allgemeinen und den Produkten der Bäckerei im Speziellen. Im besten Fall hält man für sie sogar eine Infobroschüre zum Mitnehmen bereit.

Wissenswertes über Weizen
Die Kunst besteht darin, ausreichend Informationen zu liefern, ohne dabei zu sehr ins wissenschaftliche Detail zu gehen. Das Weizenwissen muss gut konsumierbar und verständlich verpackt werden, ohne an Tiefe vermissen zu lassen. Antworten auf die wichtigsten Fragen könnten dann so aussehen:

Mythos 1
Weizen ist überzüchtet und genmanipuliert
Während die Menschen sesshaft wurden, begannen sie damit, erste Süßgräser zu kultivieren. Zuvor zogen die Stämme als Nomaden mit ihrem Vieh von Weidefläche zu Weidefläche. Mit der gezielten Sammlung von Getreidesamen sowie deren Pflanzung und Pflege entstanden erste Siedlungen und Dörfer. Bis heute tragen Süßgräser, zu denen der moderne Weizen zählt, maßgeblich zur menschlichen Versorgung bei.

Es ist richtig, dass das Korn durch Menschen selektiert wurde und heutige Züchtungen nicht mehr dem ursprünglichen Getreidekorn entsprechen. Das geschah allerdings ohne Gentechnik. Allein die Auswahl des Saatguts von passenden Pflanzen bestimmte darüber, welche Sorten gekreuzt wurden und welche neuen Sorten daraus entstanden.

Ziel der Züchtungen war und ist es bis heute, sowohl eine hohe Ausbeute an teigfördernden Eigenschaften als auch Nährstoffen zu gewinnen. Zudem sollen die Pflanzen an bestimmte klimatische Bedingungen oder spezielle Böden angepasst sein und möglichst hohen Ertrag liefern.

Zwar gibt es inzwischen in Argentinien einen ersten Anbauversuch mit genmanipuliertem Weizen, im Rest der Welt wird bisher nirgendwo mit genmanipuliertem Weizen gearbeitet. Er wird nicht angebaut, nicht vermahlen, nicht verkauft.

Das Weizenvollkornbrot ist Brot des Jahres 2024

Mythos 2
Weizen ist mit Pesti- und Herbiziden belastet
Grundlegend unterscheidet man Hart- und Weichweizen voneinander. Während Hartweizen deutlich sensibler ist und in Deutschland hauptsächlich in den Weinanbaugebieten gedeiht, ist Weichweizen genügsamer und kann daher in zahlreichen Regionen mühelos angebaut werden.

Weichweizen ist so robust, dass man sogar zwei Ernten im Jahr einbringen kann – auch wenn Winterweizen durch Kälte und verkürzte Sonnenstunden pro Tag deutlich mehr Tage von Aussaat bis zur Ernte benötigt als Sommerweizen.

Laut der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) liegt der Selbstversorgungsgrad Deutschlands für Weichweizen bei 126 Prozent und für Hartweizen bei 17 Prozent. Aber was unterscheidet Hart- von Weichweizen? Hartweizen kennen die meisten als Hartweizengrieß. Er wird vor allem für Teigwaren verwendet, also vorwiegend Pasta. Andere Produkte aus Hartweizen sind zum Beispiel Couscous und Bulgur.

Der genügsame Weichweizen hingegen ist auch unter dem Begriff Brotweizen bekannt. Er wird zu unserem typischen Weizenmehl vermahlen und findet sich in privaten Haushalten, aber auch im Brot der Handwerksbäckerei wieder.

Da der Hartweizen hauptsächlich aus EU- und Nicht-EU-Staaten importiert wird, kann er stark mit Pesti- und Herbiziden belastet sein – alles im Rahmen der in der EU zugelassenen Grenzwerte. Beim Weichweizen, der den Weg ins Brot findet, können Mühlen und somit auch Handwerksbäckereien auf Rohstoffe aus regionalem, deutschem Anbau setzen. Das ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern sorgt zudem für eine geringere Belastung des Getreides.

Während die EU zum Beispiel mit dem Glyphosat-Verbot kürzlich zurückgerudert ist, verfolgt Deutschland weiter die Strategie der Einschränkung im EU-gesetzlich möglichen Rahmen. So darf das starke Herbizid eingeschränkt zur Vorsaatbehandlung der Felder und Stoppelbehandlung nach der Ernte eingesetzt werden, jedoch nicht mehr, während das Getreide auf dem Feld wächst.

Mythos 3
Weizen enthält nur leere Kalorien
In der Regel gehen Menschen bei dieser Annahme von hell ausgemahlenen Weizenmehlen aus, die einen geringen Schalenanteil und daher weniger gesunde Nährstoffe enthalten. Sortenabhängig besteht ein volles Korn des Weichweizens aus im Schnitt 12,8 Prozent Wasser, 10,9 Prozent Proteinen, 1,8 Prozent Fett, 59,5 Prozent Kohlenhydraten sowie 13,3 Prozent Ballaststoffen und 1,7 Prozent Mineralstoffen.

Kohlenhydrate braucht der Organismus ebenso wie Fette und Proteine, dennoch genießen sie einen schlechten Ruf. Dabei muss man zwischen Kohlenhydraten mit einem hohen und einem niedrigen glykämischen Index unterscheiden. Er ist der Maßstab dafür, wie schnell oder langsam ein Lebensmittel den Blutzuckerspiegel ansteigen lässt.

Die Ernährung mit einem niedrigen glykämischen Index ist förderlich, zum Beispiel bei Diabetes oder der Gewichtsabnahme. Weizenvollkornbrot schneidet in diesem Sinne sehr gut ab, versorgt den Körper mit wertvollen Vitaminen sowie Mineralstoffen und hält lange satt.

Auf der Grünen Woche im Januar in Berlin schnitt Bundesminister Cem Özdemir gemeinsam mit dem Bäckerpräsidenten Roland Ermer das Brot des Jahres an

Mythos 4
Gluten im Weizen ist schädlich
Im Durchschnitt besteht Weizen zu 10,9 Prozent aus Proteinen. Mit zirka 80 Prozent davon stellen die Bestandteile des Glutens die größte Gruppe – Gliadine und Glutenine. In Verbindung mit Wasser bildet sich aus ihnen das berühmt-berüchtigte Gluten. In Brot kommt ihm eine wesentliche Rolle zu. Das liegt an seinen besonderen Eigenschaften.

Gluten ist ein Klebereiweiß, das Wasser bindet, dem Teig eine netzartige Struktur verleiht und damit die Gärgase im Teig hält. So wird ein Brot beim Backen luftig statt kompakt und erhält eine schöne, wattige Krume. Richtig ist, dass einige Menschen Gluten nicht vertragen. Dazu zählen etwa ein Prozent Zöliakie-Betroffene, das ist die schwerste Form der Glutenunverträglichkeit.

Diese Menschen müssen Gluten in jeder Form meiden, sie dürfen also auch keinen Dinkel oder Roggen essen. Andere Erkrankungen, die mit Weizen in Verbindung stehen, sind die Weizenallergie und die Nicht-Zölliakie-Weizensensitivität. Menschen, die eine dieser Unverträglichkeiten betrifft, sollten keinen Weizen essen, müssen aber generell Gluten nicht meiden.

In Summe ergibt sich eine Menge von etwa 10 Prozent der Bevölkerung, die mit Weizen tatsächlich Probleme haben können. Für 90 Prozent ist das Getreide absolut bekömmlich. Dass Gluten an sich schädlich sei, dafür gibt es bis heute keinen wissenschaftlichen Beleg.

Eher geht man vom Gegenteil aus – Gluten gilt als wichtiger Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung. Gegen seine Unverträglichkeit per se spricht auch die Willkür, mit der es immer wieder Gluten in Backwaren trifft. Als Seitan ist Gluten nämlich ebenfalls beliebt. In Asien gehört Seitan seit Jahrhunderten zur traditionellen Küche – teils sogar zur Heilküche.

Mit dem Hype um Fleischersatzprodukte hat Seitan auch in Deutschland eine höheren Stellenwert in der Ernährung erhalten. So sind zum Beispiel die McPlant Nuggets vom Fastfood-Restautant McDonalds hauptsäch-

lich aus Gluten hergestellt. Während also die Veggie-Versionen von Burger und Nuggets im Fastfood-Segment boomen, hinterfragt die Kundschaft die Verträglichkeit von Weizenprodukten in der Handwerksbäckerei.

Mythos 5
Weizen verursacht Bauchschmerzen
Dass trotzdem immer mehr Menschen über eine Unverträglichkeit klagen, als in die zuvor genannte Gruppe gehören, liegt nicht am Weizen, sondern an der Verarbeitung des Weizens. In diesem Zusammenhang beobachtet die Wissenschaft neben Gluten zwei weitere Bestandteile des Getreidekorns: ATIs und FODMAPs.

ATIs stehen im Verdacht, Krankheiten zu begünstigen. Die Abkürzung steht für Amylase-Trypsin-Inhibitoren. Inhibitor bedeutet, dass dieser Stoff etwas blockiert. Amylase ist ein Enzym, das Stärke in Glukose aufbricht und dem Keimling als Nahrung bereitstellt. Trypsine schließlich spalten Proteine zur Verdauung auf.

Während die genaue Bedeutung von ATIs für das Weizenkorn bis jetzt noch nicht komplett bestimmt werden konnte, vermutet man, dass ATIs für die Keimung des Korns sowie den Schutz vor Fraßfeinden zuständig sind. Der Inhaltsstoff soll Nicht-Zölliakie-Weizensensitivität begünstigen, kann aber durch eine lange Teigführung – also die Fermentation des Teiges für mindestens vier Stunden und gerne mehr – größtenteils abgebaut werden. Übrigens kommen ATIs auch in glutenfreien Körnern wie Buchweizen vor.

Hinter der Buchstabenkombination FODMAP versteckt sich die Bedeutung „vergärbare Mehrfach-, Zweifach-, Einfachzucker und mehrwertige Alkohole”. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Kohlenhydraten und Zuckeralkoholen. Sie sind im Dünndarm schwer verdaulich, wandern deshalb schnell in den Dickdarm und werden von den dort vorhandenen Bakterien fermentiert. Das sorgt für Blähungen, zum Teil auch für das Reizdarmsyndrom.

Viele Menschen glauben, dass Gluten und/oder Weizen Probleme bei der Verdauung verursacht

Eine Studie der Universität Hohenheim stellte vor Jahren einen Zusammenhang zwischen FODMAPs und der Unverträglichkeit von Brot her. Die Versuchsanordnung war allerdings nicht wirklich praxistauglich. Inzwischen ist diese erste Studie von einer zweiten quasi widerlegt worden. Dennoch wird die Geschichte der FODMAPs im Brot weitergetragen. Zu unrecht.

Zwar sind in Weizenmehl und Weizenbroten FODMAPs enthalten, jedoch ist die Menge in einem Brot grundsätzlich so gering, dass jedes Gebäck den Anforderungen einer Low-FODMAP-Diät entspricht. Die Menge an FODMAPs in Obst, Gemüse, Milchprodukten und Süßstoffen ist deutlich höher als in Weizenprodukten. Auch hier hilft längere Fermentation gleichwohl beim Abbau und zu einem noch niedrigeren FODMAP-Gehalt.

Auch wenn die Wissenschaft hier teilweise noch im Dunkeln tappt, zeigt die Erfahrung deutlich: Lange Teigruhe erhöht die Verträglichkeit von Weizengebäcken spürbar.

Selbstbewusst auftreten
Mit diesem Grundwissen zum Thema Weizen werden sich Verkaufskräfte deutlich besser in Diskussionen Vorurteilen gegenüber behaupten. Auch Social-Media-Verantwortliche können konkreter auf Vorurteile oder halbwahre Behauptungen reagieren, die auf ihren Online-Kanälen gepostet werden.

Wichtig ist, in Gesprächen die Sorge der Menschen ernstzunehmen und sie nicht als nervig abzustempeln. So können die geduldige Verkaufskraft, der sachkundige Verkaufsleiter oder die nahbare Inhaberin mit ihrer Fachkenntnis überzeugen und verloren geglaubtes Vertrauen zurückgewinnen.


Tipp
Ein Infoblatt zum Ausdrucken für Verkaufskräfte zum Thema „Weizenmythen“ findet sich im Download-Bereich von BROTpro unter: brot-pro.de/download


Fotos:
ABCDstock
Andrey Popov
BÄKO-ZENTRALE
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Edda Klepp

Edda ist Chefredakteurin bei BROTpro und BROT. Seit 2016 bewegt sie sich in der backenden Branche und ist auch privat eine begeisterte Brotbäckerin. Wenn sie nicht gerade schreibt oder Teige knetet, ist sie häufig unterwegs zu Reportagen und Konferenzen oder lässt die Seele baumeln bei einem guten Buch und einer Tasse Tee.