Am statt im System arbeiten
Rolle der Führungskraft im Unternehmen
Zeit ist ein begrenztes und daher kostbares Gut. 24 Stunden pro Tag, mehr stehen nicht zur Verfügung. Gerade als Unternehmensleitung und Führungskraft ist die Aufteilung der eigenen Ressourcen eine schwierige Angelegenheit. Chefinnen und Chefs arbeiten meist selbst und ständig, wo immer es brennt. Dabei verlieren sie manchmal die strategische Weiterentwicklung ihres Betriebs aus dem Blick. Dafür sollten sie sich allerdings gezielt Zeit nehmen.
Der Unternehmer Peter Müller betreibt eine Bäckerei mit 21 Standorten in der dritten Generation. Sein Weg in das Familienunternehmen verlief klassisch. Nach der Ausbildung zum Bäcker folgte der Meisterlehrgang, dann das betriebswirtschaftliche Studium und schließlich die Mitarbeit in verschiedenen Abteilungen. Heute führt er den Betrieb mit 185 Mitarbeitenden allein.
Die Abläufe und auch die Angestellten kennt Müller aus dem Effeff. Die meisten seiner täglichen Aufgaben hat er von seinem Vater übernommen und führt sie fort wie er. Der Kalender ist voll, jeder Tag ist eng getaktet. Jede Woche hat mindestens sechs Arbeitstage, denn auch sonntags schaut der Bäcker gerne „mal kurz nach dem Rechten“. Sein Privatleben steht hinten an, eben ganz wie beim Vater.
Dringendes versus Wesentliches
Das Beispiel ist typisch für einen inhabergeführten Handwerksbetrieb. Die Organisationsstruktur sowie die Aufgaben sind „vererbt“, oftmals wird das Engagement sogar familiär erwartet. Aufgrund des ständigen Zeitdrucks beschreibt die schnelle Entscheidungsfindung „aus dem Bauch heraus“ den Normalzustand.
Neue Impulse werden mehrheitlich durch Lieferanten, den Wettbewerb und Dienstleistungsunternehmen gegeben. Es wird reagiert, statt agiert. Fehlende Zeit ist das Hauptargument für diesen Zustand. Doch objektiv betrachtet ist das nicht korrekt. Nicht die fehlende Zeit ist schuld, sondern die Verwendung der Zeit. Dringende Aufgaben werden dem Wesentlichen vorgezogen, zu wenige delegiert.
Anstatt an der Verbesserung des Systems zu arbeiten, wird fleißig im System mitgearbeitet. Infolgedessen hat der Betrieb den Unternehmer oder die Unternehmerin im Griff und nicht umgekehrt. Die erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens von innen heraus ist auf diese Weise praktisch nicht möglich.
Gesundheitliche Folgen
Neben diesen unternehmensstrategischen Folgen hat der Arbeitsstress auf Dauer gesundheitliche Konsequenzen. In einem System, in dem sämtliche Fäden immer zum Chef oder der Chefin laufen, gibt es kaum Pausen. Sobald es brennt, werden zuerst die Vorgesetzten gefragt und ihre eigenen Interessen müssen hinten anstehen.
Richtig schwierig wird es, wenn aus punktuellen Bränden ein Flächenbrand entsteht und die Arbeitszeit ausufert. Ein Hamsterrad aus Überforderung setzt sich in Gang, zunächst langsam und dann immer schneller. Die Belastung steigt und der persönliche Ausgleich kommt mehr und mehr zu kurz. Dabei ist die Situation nicht so verfahren, wie es vielleicht aussieht.
Die Alternative zur laufenden Mehrarbeit heißt, künftig nicht mehr alles, sondern genau das Richtige zu tun. Das bedeutet, das Wesentliche von Dringendem zu unterscheiden und Prioritäten neu zu ordnen. Unternehmer wie der Bäcker Peter Müller kennen das Problem sehr gut und würden gerne mehr „am System“, statt „im System“ arbeiten. Gleichwohl fällt es ihnen schwer, sich neu zu organisieren.
Vogelperspektive einnehmen
Um eine solche Situation nachhaltig zu ändern, heißt zunächst einmal, den aktuellen Zustand zu klären, zu hinterfragen und zu reformieren. Dafür sollte man eine ganzheitliche Perspektive einnehmen und sich das eigene Unternehmen quasi von oben anschauen. Hilfreich ist es, hierfür ein Organigramm und klar umrissene Stellenprofile zu erstellen.
Damit ist eine Übersicht über das Unternehmen gemeint, die Aufschluss über die Aufbauorganisation in Form von Abteilungen, Aufgaben und Kommunikationsbeziehungen gibt. Dabei werden vorhandene, nicht vorhandene und auch falsche Strukturen sowie Prozesse sichtbar.
Bäckereien, deren Standort- und Angestelltenzahl in kurzer Zeit stark gewachsen ist, mangelt es häufig an klaren Strukturen. Das Unternehmen ist größer geworden, ohne dass die notwendigen Organisationskonzepte mitwachsen konnten. In manchen Fällen gibt es ein Organigramm, in manchen nicht oder nur ein veraltetes.
Damit entstehen zum Teil beträchtliche Unschärfen in der Interpretation von Positionen und Führungsaufgaben. Zuständigkeiten sind nicht klar geregelt. Es gibt ungewollten Interpretationsspielraum und willkürliche Entscheidungswege. Beides ist ärgerlich und zieht Kosten- sowie Umsatznachteile nach sich.
Um hier Verbesserungen zu erreichen, müssen Angestellte den Rahmen kennen, innerhalb dessen sie sich bewegen dürfen und sollen. Zwar lässt sich nicht alles im Detail strukturieren – das ist für einen Handwerksbetrieb auch gar nicht nötig –, aber insbesondere bei wiederkehrenden Themen sind eindeutige Zuständigkeiten wichtig.
Wie werden Sonderwünsche der Kundschaft aufgenommen und weitergeleitet? Wie erfolgt die Aktualisierung von Unternehmensstandards? Welche Produktionsprozesse fallen in wessen Bereich? Wer kann die genannten Personen im Krankheitsfall vertreten? Wer verfügt frei über welche Budgets? All das eindeutig festzulegen und auch Entscheidungskompetenzen innerhalb von Teams sowie auf verschiedenen Ebenen zu benennen, führt zu reibungsloseren Abläufen und entlastet am Ende auch die Führungskräfte.
Kommunikation stärken
Ein ebenso potenzialträchtiges Thema wie die Arbeitsorganisation ist der Kommunikationsfluss im Unternehmen. Ist nicht geklärt, was wann und zu wem in welcher Weise kommuniziert werden muss, fehlen die Voraussetzungen, um Vorhaben optimal umzusetzen.
Oft funktioniert Kommunikation dennoch nach dem Stille-Post-Prinzip. Insbesondere bei größeren Betrieben mit mehreren Fachgeschäften wird das zum Problem. Auf dem Weg in Richtung der Standorte gehen wichtige Informationen verloren. Rundschreiben reichen bei komplexen und sensiblen Themen nicht aus.
Stattdessen empfehlen sich regelmäßige Termine und Austauschplattformen für die Abteilungen sowie zum Beispiel auch zwischen dem Stammhaus und den einzelnen Filialteams. Dabei geht es nicht nur darum, Termine festzulegen, sondern auch die geeigneten Besprechungsformate auszuwählen, also zum Beispiel regelmäßige Einzelgespräche oder Gruppen-Meetings zu installieren. Auf diese Weise werden Informationsverluste verhindert und gleichzeitig die Informationsqualität erhöht.
Im Meeting selbst ist Effizienz gefragt. Das heißt, mit einer wiederkehrenden Agenda, einem guten Zeitmanagement und der inhaltlichen Aufbereitung der Themen dafür zu sorgen, dass der Austausch verständlich sowie kompakt stattfindet und keine wichtigen Informationen verloren gehen.
Projekte sowie Verantwortlichkeiten, die während der Besprechungen abgestimmt werden, müssen regelmäßig nachgehalten, Ziele gegebenenfalls angepasst werden, sofern Verbesserungsbedarf besteht. Dabei ist es wichtig, als Chefin und Chef Fach- sowie Führungskräfte bewusst einzubinden und Aufgaben an sie abzugeben, um selbst entlastet zu werden und eigene Ressourcen zu schonen.
Mikromanagement hinterfragen
Mischen sich Vorgesetzte hingegen zu stark ein, mutieren sie leicht zu Mikromanager/innen und verlieren noch mehr wertvolle Zeit. Zudem sorgt eine übertriebene Detailorientierung für Entmündigung und Frust bei den beteiligten Mitarbeitenden. In einigen Fällen kann die sorgfältige Detailbetrachtung auch sinnvoll sein.
Wenn beispielsweise weitreichende Entscheidungen wie eine größere Investition anstehen, liefert die Vertiefung ins Detail oft wertvolle Erkenntnisse. Dafür sollten Führungskräfte sich Zeit freiräumen. Die Kunst besteht darin, das eine von dem anderen zu unterscheiden.
Realistisch ist, zunächst drei bis vier Termine im Monat festzulegen, um Zeit und Raum für übergeordnete Themen sowie wichtige Entscheidungen zu gewinnen. Dafür müssen andere Aufgaben dauerhaft umorganisiert werden. Die Einhaltung der Termine „mit sich selbst“ ist eine Herausforderung und erfordert Disziplin. Langfristig lohnt sich der Aufwand allerdings.
Aufgaben festlegen
Gerade zu Beginn ist die Anzahl der Optimierungsmöglichkeiten riesig. Um nicht den Überblick zu verlieren, empfiehlt es sich, in einem ersten Schritt anstehende Aufgaben schriftlich festzuhalten und nach Wichtigkeit zu sortieren. Je größer die Auswirkungen für das Unternehmen sind, desto vorrangiger ist ein Thema zu behandeln. In einem zweiten Schritt sollte man die Bearbeitung der Aufgaben konkret terminieren.
Dabei sind alle beteiligten Personen in den Optimierungsprozess einzubinden. Dazu zählt eine dauerhaft-transparente Kommunikation. Das erzeugt Klarheit und animiert zum Mitmachen. Wer sich in seiner Kompetenz ernst genommen fühlt und das Vertrauen von Vorgesetzten spürt, wird motivierter arbeiten und ein Projekt erfahrungsgemäß mit größerem Engagement vorantreiben.
Als Prozess denken
Alles in allem ist die Arbeit „am System“ ein nicht endender Optimierungsprozess mit vielen Fort-, aber auch Rückschritten. Veränderungen der Organisationsstruktur benötigen ein gutes Miteinander, die Mitwirkung der handelnden Personen sowie Geduld, Motivationsstärke und Verständnis. Daneben helfen Hartnäckigkeit und eine gemeinsame Unternehmensvision.
Aus diesem Grund sind der übergeordnete Blick sowie eine nachhaltige Strategie von Führungskräften wichtig. Wenn alle wissen, wohin das Unternehmen steuert, wird es für Mitarbeitende immer einfacher, im Alltagsgeschäft die richtigen Entscheidungen zu treffen. Langfristig zahlt sich die dafür investierte Zeit vielfach aus.
Was bedeutet Mikromanagement?
Mikromanagement beschreibt einen Führungsstil, bei dem sich Vorgesetzte übertrieben mit Details beschäftigen, die Mitarbeitende ebenso übernehmen könnten. Es wird jedoch darauf verzichtet, sie zu delegieren. Meist geht das Verhalten mit dem Wunsch einher, über jeden Vorgang ständig informiert zu werden. Problematisch ist Mikromanagement, weil dadurch Arbeitspakete immer detaillierter und umfangreicher werden. Statt selbständig Entscheidungen zu treffen, müssen Mitarbeitende auf Rückmeldungen warten und ihr Vorgehen abstimmen, was den Arbeitsfluss ständig unterbricht. Auf Dauer führt der Führungsstil zu Demotivation, mangelnder Eigeninitiative und damit einer Leistungsminderung von Angestellten, was wiederum bei Vorgesetzten den Wunsch nach noch mehr Kontrolle steigern kann.
Häufige Gründe für Mikromanagement
• Das Gefühl, nicht genug Informationen zu erhalten
• Der Glaube, helfen und unterstützen zu müssen
• Nicht delegieren und keine Verantwortung abgeben zu können
• Flucht ins Detail, um weitreichende Entscheidungen zu vermeiden
• Furcht vor Kontrollverlust
Fotos:
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Auszug aus Ausgabe 02/2023
Dieser und weitere interessante Artikel erschienen in Ausgabe 02/2023 von BROTpro. Die komplette Ausgabe kann im Alles-rund-ums-Hobby-Shop bestellt, direkt im Browser gelesen oder über die App von BROT im Google Play Store beziehungsweise Apple App Store bezogen werden.