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Lars Klingbeil im Interview: „Als Brotbotschafter sorge ich vor allem für Sichtbarkeit“

Lars Klingbeil im Interview: „Als Brotbotschafter sorge ich vor allem für Sichtbarkeit“

Der SPD-Abgeordnete Lars Klingbeil ist einer von zwei SPD-Vorsitzenden auf Bundesebene und seit Mai der erste Sozialdemokrat im Amt des Brotbotschafters. BROTpro sprach mit ihm über seine Pläne im Ehrenamt, mehr Sichtbarkeit fürs Bäckereihandwerk sowie den notwendigen Dialog zwischen Politik und Unternehmertum.

Seit dem Tag des Deutschen Brotes am 5. Mai ist Lars Klingbeil neuer Brotbotschafter 2023

BROTpro: Herr Klingbeil, Sie sind der Brotbotschafter 2023. Wie würden Sie Ihre persönliche Beziehung zu Brot beschreiben?

Lars Klingbeil: Als ich gefragt wurde, ob ich Brotbotschafter werden möchte, habe ich mich sehr gefreut, denn natürlich gibt es auch eine Beziehung zu Brot. Ich esse sehr gerne frisches Brot und habe schöne Erinnerungen an das Abendbrot in meiner Kindheit, das viel mehr als nur ein Essen war, sondern immer auch familiäres Zusammensein und Austausch. Ich finde, das ist eine schöne deutsche Tradition.

BROTpro: Ihre Vorgängerin Gitta Connemann hat sich aktiv als Brotbotschafterin auf den Weg gemacht und ein Jahr lang verschiedene Bäckereien besucht. Was planen Sie für das kommende Jahr, wo und wie wollen Sie im Amt aktiv werden?

Klingbeil: Ich glaube, mit ihren Aktivitäten hat Gitta Connemann neue Maßstäbe gesetzt. Ich finde das toll, dass sie sich so intensiv gekümmert hat. Im letzten Jahr hatte ich selbst durch die Energiekrise sehr viel mit Bäckereien zu tun, bei mir aus der Region und auch mit den Interessenvertretungen auf Bundesebene da ich mich sehr stark für die Gas- und Strompreisbremse eingesetzt habe. Sie hat am Ende dazu beigetragen, dass die Bäckereien gut durch diese schwere Zeit gekommen sind. Auch ich habe mir vorgenommen, regelmäßig Bäckereien zu besuchen. Für mich ist sehr klar, dass meine Aktivität als Brotbotschafter nicht allein darin besteht, die Urkunde und Ernennung in einem Jahr wieder abzugeben. Bis dahin will ich intensiv im Austausch sein, gerade mit Bäckereien an der Basis. Natürlich bekomme ich gerade auch viele Einladungen, nicht alle werde ich annehmen können. Aber ich habe mit meinem Team bereits besprochen, dass ich, wenn ich im Land unterwegs bin, das jeweils auch mit einem Besuch bei einer Bäckerei verbinde und mit den Menschen vor Ort rede. Da will ich zuhören. Und dann gibt es vielleicht noch zwei, drei große Veranstaltungen, die eine überregionale Bedeutung haben, bei denen ich als Brotbotschafter dabei sein will. Darüber hinaus will ich natürlich auch der aktive Vermittler hier in Berlin sein, der die Anliegen aus dem Handwerk in die Politik trägt.

BROTpro: Als Parteivorsitzender der SPD stehen Sie für eine Partei, die sich für ein besseres Verhältnis zwischen Arbeitnehmer/innen und Arbeitgeber/innen einsetzen will. Wo sehen Sie derzeit dort den größten Handlungsbedarf?

Klingbeil: Zunächst spielt da die Frage nach gerechtem Lohn und guter Arbeit eine Rolle, auch von guter Ausbildung. Allerdings finde ich, dass das Bäckereihandwerk da schon sehr gut aufgestellt ist. Natürlich geht es auch darum, sich für gute Arbeitsbedingungen einzusetzen. Man kann sich streiten, ob das frühe Aufstehen eine gute Sache ist. Das ist schon ziemlich brutal, dass viele im Bäckerhandwerk morgens anfangen, wenn andere gerade von einer guten Party nach Hause kommen. Ich kenne das noch so aus den Bäckereien aus meiner Heimatstadt in Munster, wo man am Sonntagmorgen nach jeder guten Party um drei zur Bäckerei gehen konnte und die ersten frischen Brötchen bekommen hat. Die Bäckerinnen und Bäcker, mit denen ich bislang zu tun hatte, wissen sehr genau, wie hoch der Wert von Fachkräften ist, vom guten Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie dem sozialen Miteinander im eigenen Betrieb. Da braucht man keine Hinweise vom SPD-Vorsitzenden. Allerdings habe ich ein großes Interesse daran, die regionalen Bäckereien zu erhalten. Es bedeutet einen Verlust von Arbeitsplätzen, wenn sie schließen. Und es hat auch etwas mit Tradition zu tun, die verloren geht. Brotbackautomaten, die es in Supermärkten gibt, können das Bäckereihandwerk nicht ersetzen. Insofern ist es vielleicht das Wichtigste, über Rahmenbedingungen nachzudenken, unter denen die Betriebe bestehen bleiben können.

Bei der Festgala in Berlin am 9. Mai musste sich der Brotbotschafter einem Quiz vom amtierenden Weltbäcker Axel Schmitt stellen

BROTpro: In diesem Zusammenhang ist Bürokratieabbau ein wichtiges Stichwort. Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks hat in einem Thesenpapier verschiedene Vorschläge gemacht, um Unternehmen stärker zu entlasten. Der Verband schlägt unter anderem vor, Arbeitsverträge künftig auch in Textform zuzulassen, also dass sie künftig digital geschlossen und abgelegt werden können. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?

Klingbeil: Grundsätzlich haben wir in der Regierung verabredet, dass wir ein Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg bringen. Daran arbeiten derzeit die Staatssekretäre, die Federführung hat das Justizministerium. Ich glaube, dass es sehr viel Bürokratie in Deutschland gibt, die abgebaut werden muss. Allerdings sage ich hier auch sehr klar, dass damit keine arbeitsrechtlichen oder sozialen Standards abgebaut werden dürfen. Es muss immer mit den Rechten der Beschäftigten im Einklang sein. Was die Frage nach Schriftform und Textform angeht, die Sie ansprechen, verstehen wir in der SPD grundsätzlich das Anliegen. In ganz vielen Bereichen ist es bereits so, dass Textform statt Schriftform umgesetzt wird. Allerdings ist auch klar, dass es in dieser Legislatur keine Änderung bei den Arbeitsverträgen geben wird.

BROTpro: Ein anderes Thema, das in dem Thesenpapier zur Sprache kommt, ist die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Bislang ist es so, dass Unternehmen die Bescheinigungen auf einem Portal bei den Krankenkassen abrufen müssen. Uns wurde berichtet, dass das immer wieder zu Problemen führt, weil der Download nicht klappt oder die Bescheinigung erst gar nicht zur Verfügung steht. Für Unternehmen bedeutet das einen enormen Mehraufwand, immer wieder danach sehen zu müssen. Wäre es nicht sinnvoller, den umgekehrten Weg zu gehen und die Krankenkassen zu verpflichten, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen automatisiert zuzustellen?

Klingbeil: Ja, da wir sind zwingend dafür, dass das umgesetzt wird.

BROTpro: Wo sehen Sie außerdem dringenden Handlungsbedarf beim Bürokratieabbau? Welche konkreten Vorschläge haben Sie, um Unternehmen wie Bäckereien zu entlasten?

Klingbeil: Ich bin erst seit wenigen Wochen Brotbotschafter. Und ich habe Ihnen ja auch beschrieben, dass ich unterwegs sein und Bäckereien vor Ort zuhören will. Ich fände das schon ein bisschen komisch, wenn ich jetzt schon einen Masterplan hätte. Ich glaube, das muss sich im Gespräch mit den Bäckermeistern und Bäckermeisterinnen entwickeln. Durch Ihren Hinweis habe ich mir im Vorfeld dieses Gespräches die verschiedenen Punkte angesehen, die vom Zentralverband vorgelegt wurden. Vieles muss ich zunächst einmal verstehen, zum Beispiel zu dem Stichwort Gewerbeabfallverordnung, der Abgabe von Lebensmittelabfällen oder der Mess- und Eichverordnung. Im nächsten Schritt geht es dann darum, die Dinge auch in der Politik einzufordern. Derzeit kann ich noch gar keine Vorschläge machen.

Brot gehört für Lars Klingbeil untrennbar zur deutschen Kultur dazu

BROTpro: Niemand erwartet, dass Sie sich in allen Themen in jedem Detail auskennen, aber es wird ja schon an der einen oder anderen Stelle ein strukturelles Problem sichtbar. Ein Beispiel: Wir haben in der aktuellen BROTpro die Mehrwegabgabepflicht als Thema. Da haben wir uns unter anderem vom Justiziar des Zentralverbands den Stand der Dinge erklären lassen. Und dann stellt sich heraus, dass es ein Gesetz gibt, das seit dem 1. Januar gilt, dass aber verbindliche und praktikable Umsetzungsvorgaben auf Länderebene bis heute nicht vorliegen. Ähnlich verhielt es sich bei der Ausgestaltung des Kassengesetzes, da war und ist es in Teilen bis heute ähnlich. Bestimmte Vorgaben sind vom Gesetzgeber nicht klar und eindeutig formuliert worden, während sich Unternehmerinnen und Unternehmer aber bereits daran halten müssen. Zeigt sich da nicht ein strukturelles Problem, dass Unternehmen und Politik möglicherweise noch enger zusammenarbeiten müssen? Sehen Sie da Wege?

Klingbeil: Ich bin fest davon überzeugt, dass man permanent im Dialog sein muss. So verstehe ich auch meine Aufgabe. Also dass ich derjenige bin, der Kontakte herstellt, Türen und Gesprächskanäle öffnet. Das habe ich in meiner kurzen Antrittsrede beim Tag des Deutschen Brotes bereits angekündigt. Natürlich kann ich mein Amt als Parteivorsitzender dafür nutzen. Darin bestand ja auch meine Motivation, das Ehrenamt als Brotbotschafter anzunehmen. Ich fand es sehr spannend zu sehen, wie die Vertreterinnen und Vertreter des Bäckereihandwerks in der Energiekrise letztes Jahr aufgetreten sind. Sie waren nie schrill, bunt oder verletzend, stattdessen wurde klar benannt, worum es geht und worin die Probleme bestehen. Das ist auch die Art, wie ich Politik mache. Zuerst muss man sich Probleme angucken und dann versuchen sie zu lösen. Ich glaube, dass dieser Dialog zwischen Praktikern und Verantwortlichen in der Politik sehr hilfreich ist.

BROTpro: In diesem Zusammenhang haben wir Äußerungen gehört von einem Unternehmer, der sagte: „Bei Gesetzen lässt man uns Unternehmer gerne zu Beta-Testern werden.“ Das bedeutet, der Dialog findet trotzdem häufig erst statt, wenn das Gesetz schon da ist. Müsste es nicht umgekehrt so sein, dass diese Gespräche vorher stattfinden, bevor etwas beschlossen wird?

Klingbeil: Da müsste man jetzt konkret auf das jeweilige Beispiel gucken. Ich weiß natürlich, dass manche Gesetze, gerade im letzten Jahr, sehr schnell verabschiedet wurden. Grundsätzlich gibt es feste Verfahren, zu denen auch Verbandsanhörungen sowie Stellungnahmen aus Verbänden gehören. Die Beteiligung ist dabei schon sehr breit und deswegen müsste man genau schauen, bei welchem Gesetz das anders war und wie genau das gelaufen ist. Manchmal gibt es nur sehr kurze Fristen, während derer sich die Verbände einbringen können. Aber Beteiligung findet generell immer statt. Das ist so geregelt und das kenne ich auch aus den Ausschüssen, in denen ich mitarbeite, wie auch aus den Ministerien. Ich halte es für richtig, dass auf der Strecke der Erarbeitung eines Gesetzes diejenigen gehört werden, die es nachher umsetzen müssen.

Prominenz in Berlin, von links: Botschafter des Deutschen Brotes 2017 und Bundesminister Cem Özdemir, Brotbotschafterin 2022 Gitta Connemann, BROTpro-Redakteurin Edda Klepp und der neue Brotbotschafter 2023 Lars Klingbeil

BROTpro: Gehen wir zu einem anderen Thema: fehlendes Personal. Das bewegt die Bäckerinnen und Bäcker, so wie viele andere Branchen. Das Image vom Handwerk ist nicht immer das Beste. Welche Ideen haben Sie, um das Image von Bäckereien zu stärken und die Betriebe für Fachkräfte sowie Auszubildende attraktiv zu machen?

Klingbeil: In diesem Zusammenhang sind vor allem zwei Aspekte wichtig. Zum einen finde ich, dass Politik in der Pflicht ist, sehr deutlich zu machen, welchen Stellenwert das Handwerk im Vergleich zum Studium hat. Hubertus Heil hat einmal gesagt: Wir brauchen nicht nur Master, sondern auch Meister. Der Wert einer handwerklichen Ausbildung muss an allen Stellen betont werden. Es ist wunderbar, dass wir eine so hohe Qualität in der Ausbildung haben. Der zweite Aspekt ist, dass wir gerade in allen Bereichen Fachkräftemangel haben. Deswegen haben wir mit der regierenden Ampel-Koalition Regelungen der Fachkräftezuwanderung auf den Weg gebracht. Wir wollen jährlich festlegen, in welchen Bereichen wir Unterstützung und Arbeitskräfte von außerhalb brauchen. Für sie muss man dann auch den Arbeitsmarkt in Deutschland öffnen. Beides, die Wertschätzung für das Handwerk zu steigern und die Frage der Zuwanderung zu regeln, führt dazu, dass am Ende mehr Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.

BROTpro: Inwiefern werden Sie als Brotbotschafter dazu beitragen?

Klingbeil: Ich kann an dem Bereich der Wertschätzung arbeiten, unter anderem auf meinen Social-Media-Kanälen. Sehr viele Leute sprechen mich derzeit an und fragen: Warum hast du dieses Ehrenamt angenommen? Was ist die Motivation dahinter? Wieso machst du das? Und ich erkläre dann, dass ich das für mehr Sichtbarkeit mache, um über den Beruf des Bäckermeisters oder der Bäckermeisterin zu reden und die Wertschätzung für das Handwerk deutlich zu machen. Darin sehe ich meine Aufgabe. Und natürlich bin ich als Parlamentarier auch damit beschäftigt, dass wir das Fachkräftezuwanderungsgesetz auf den Weg bringen. Als Brotbotschafter sorge ich aber vor allem für Sichtbarkeit und für die Vermittlung der Anliegen des Bäckereihandwerks in den politischen Raum.

BROTpro: Zum Abschluss habe ich noch eine Frage an Sie, die wir in unserer Talkreihe BROTTalk jedem unserer Gäste stellen. Wenn Sie ein Gebäck wären, welches wären Sie?

Klingbeil: Ich halte mich für einen sehr bodenständigen Typen und glaube, dass ich auch sehr unkompliziert bin, daher wähle ich das Graubrot. Ein frisches, warmes Graubrot steht für mich fürs Bäckereihandwerk. Das schätze ich sehr und da verorte ich mich.

 

[Transparenz-Hinweis: Das Gespräch fand am 20. Juni 2023 telefonisch statt.]
Fotos: Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks, Jan Konitzki, Edda Klepp, Sebastian Marquardt

 

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Edda Klepp

Edda ist Chefredakteurin bei BROTpro und BROT. Seit 2016 bewegt sie sich in der backenden Branche und ist auch privat eine begeisterte Brotbäckerin. Wenn sie nicht gerade schreibt oder Teige knetet, ist sie häufig unterwegs zu Reportagen und Konferenzen oder lässt die Seele baumeln bei einem guten Buch und einer Tasse Tee.