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Weihnachtliches Zusatzgeschäft

Weihnachtliches Zusatzgeschäft

Storys über Stollen

Kaum eine andere Köstlichkeit ist in den Köpfen so fest mit Weihnachten verbunden wie Stollen. Allein schon der Geruch nach Mandeln, Rosinen, Zitronat und Orangeat weckt bei vielen Menschen nostalgische Gefühle. Und doch muss es nicht immer der bekannte Klassiker aus Dresden sein. Mit einer exquisiten Auswahl des Festtagsgebäcks, einem klugen Konzept sowie besonderen Zutaten können handwerkliche Bäckereien Expertise zeigen und sich vom Wettbewerb abheben.

Das Geschäft mit dem Stollen boomt. Etwa 100 Millionen Euro geben allein die Deutschen im Jahr für die weihnachtlichen Gebäcke aus. Dabei handelt es sich um brotförmige Kuchen aus schwerem, fettreichen Hefeteig, die mit Gewürzen, Butter, Mandeln, Früchten oder anderen Zutaten verfeinert werden. Stollen aus der Backindustrie finden sich meist schon ab Herbst in den Supermarktregalen. Daneben gibt es ein breites Spektrum handwerklicher Produkte, die vor Ort gekauft, aber zum Beispiel auch im Internet bestellt werden können – allen voran der Original Dresdner Christstollen, der weltweit ein positives Image genießt.

Wer das Original backen will, muss sich an strenge Regeln halten. Das vorweihnachtliche Backwerk wird vom Schutzverband Dresdner Stollen streng überwacht. Mindestens 32,4 Kilogramm praktisch wasserfreies Fett muss das Gebäck enthalten, davon mindestens die Hälfte Milchfett – bezogen auf eine Gesamtmenge der Getreideerzeugnisse und/oder Stärken von 100 Kilogramm. Hinzu kommen 70 Kilogramm Trockenfrüchte sowie 10 Kilogramm Mandeln und auch noch weitere obligatorische Zutaten.

Zudem ist die Bezeichnung geografisch geschützt. Nur innerhalb eines festgeschriebenen Gebietes rund um Dresden darf das Label „Original Dresdner Christstollen“ verwendet werden. Um sich als Handwerksbetrieb in anderen Regionen mit Stollen einen Namen zu machen, ist daher Ideenreichtum gefragt.

Besser als eine (womöglich schlechtere) Kopie des berühmten Vorbildes ist es aus Sicht des Bäckermeisters und Bäckerei-Beraters Michael Kleinert in vielen Fällen, davon klar unterscheidbare Rezepturen zu entwickeln. „Bäckereien sollten aufhören, sich in allen Regionen mit Dresdner Butterstollen profilieren zu wollen“, sagt er.

Statt Weizen- wurde für den Theresienstollen ausschließlich Dinkelmehl verwendet

Individuelles Sortiment
Einen ganz persönlichen Stempel hat Bäckermeister Claus Becker, Inhaber von „De’ Bäcker Becker“ aus Edenkoben, seinem Stollen-Sortiment aufgedrückt. Zwölf verschiedene Sorten produziert der Betrieb jedes Jahr. Die Rezepturen enthalten besondere Zutaten und haben meist einen Bezug zur pfälzischen Heimat des Familienunternehmens. Beckers Stollen sind kompakt (um die 200 Gramm), dafür abwechslungsreich und jede Sorte hat ihre eigene Geschichte.

Zum Beispiel gibt es den „König Ludwig Stollen“, in dem Kastanien verarbeitet wurden, da der Monarch einst selbst zahlreiche Kastanien-und Mandelbäume anpflanzen ließ. Daneben findet sich ein „Theresienstollen“ aus reinem Dinkelmehl im Sortiment, benannt nach Königin Therese – die Dame soll sehr auf ihre Gesundheit bedacht gewesen sein. Oder auch der „Lola Montez Stollen“, zu Ehren der gleichnamigen Geliebten König Ludwigs und aus „Früchten der Verführung“, wie Becker es umschreibt.

In Zusammenarbeit mit Michael Kleinert hat der Edenkobener Betrieb ein Konzept Bei De’ Bäcker Becker gibt es zur Vorweihnachtszeit eine große Auswahl verschiedener Stollen Statt Weizen- wurde für den Theresienstollen ausschließlich Dinkelmehl verwendet erarbeitet, die Stollen im Fachgeschäft noch besser an die Kundschaft zu bringen. Hierfür wurden die Filialleitungen sowie weitere interessierte Verkaufskräfte an einen Tisch geholt, um die Stollen gemeinsam zu verkosten und überzeugende Verkaufsargumente herauszuarbeiten.

Genuss beschreiben
Laut Kleinert müssen drei Aspekte zusammenspielen, um ein optimales Marketing-Konzept für Produkte zu entwickeln: a) das Produkt und dessen Charakter – das beinhaltet auch entsprechend hohe Qualität, b) der Service, bestehend aus Dienstleistungen und transparenter Informationen, sowie c) das Branding, also die wiedererkennbare Marke der produzierenden Bäckerei.

Zentraler und häufig vernachlässigter Erfolgsfaktor ist dabei das Handeln der Mitarbeitenden im Verkauf. Sie sind es, die die Botschaft aus der Backstube an die Kundschaft kommunizieren, letztlich also die entscheidende Beratungsdienstleistung erbringen. Im Idealfall greift dann Kleinerts „3G-Regel“ beim Stollenverkauf: „Aus der Geschichte des Produktes plus Genuss wird Gewinn“, sagt er.

In einem sechsstufigen Prozess können sich Betriebe mit ihren Produkten auseinandersetzen, um die Charakteristika eines Stollens herauszuarbeiten und daraus passende Verkaufsargumente abzuleiten:

Claus und Silke Becker (Zweiter und Vierte von links) wollen ihr Team und die Kundschaft für ihre Backwaren begeistern

1. Bestimmung der Grundgeschmacksarten
Bei einer ersten Verkostung werden die Grundgeschmacksarten süß, sauer, bitter oder salzig benannt und ihre Intensität bestimmt, zum Beispiel mit Zusätzen wie leicht, ausgewogen oder intensiv. Aufgrund der Zusammensetzung verschiedener Zutaten kann ein Gebäck zugleich mehrere dieser Attribute aufweisen.

2. Allgemeine Definition von Geruchs- und Geschmackseigenschaften
Im zweiten Schritt gilt es, die Geschmacksattribute zu konkretisieren. Neben süß, sauer, salzig und bitter treten jetzt zum Beispiel Adjektive wie hefig, röstig, holzig, gärig, fruchtig, malzig, blumig, nussig oder eine Beschreibung wie mit leichter Honigsüße.

3. Formulierung individueller, an die eigenen Produkte angepasster Attribute
Die Genussbeschreibung für das Produkt wird weiter angereichert durch individuelle Merkmale, die sich zum Beispiel in der Zutatenliste finden: mit Kräutern und Gewürzen, herzhaft mit Tomate und Paprika, mit Weißwein aus der Pfalz, Dinkelmehl oder anderen Besonderheiten. In diese Kategorie fallen auch sogenannte Frei-von-Attribute, die beschreiben, was eben gerade nicht in einem Produkt enthalten ist, zum Beispiel ohne Alkohol, Marzipan oder Nüsse. Das muss nicht erwähnt werden, kann aber – je nach Zielgruppe – eine interessante Ergänzung sein.

4. Erweiterung um sensorische Merkmale
Weiter geht’s mit der Beschreibung des Stollens auf Basis seiner sensorischen Merkmale, zum Beispiel Kaueigenschaften und Mundgefühl. So kann sich ein Gebäck beim Essen zum Beispiel samtig, flaumig oder körnig anfühlen, aber auch weich, knusprig, soft, rösch, kross, saftig, frisch, knackig, blättrig, geröstet, mit kernigem Biss, krustig, fluffig, luftig, locker, zart oder cremig.

5. Ergänzung emotional-hedonischer Begriffe
Um Produkte für die Kundschaft noch attraktiver zu gestalten, bietet sich im fünften Schritt eine Erweiterung um emotionalhedonische Begriffe an. Damit sind Attribute gemeint, die das Aussehen, den Geruch, den Geschmack und überhaupt alle Sinneseindrücke näher beschreiben, zum Beispiel fein, würzig, lieblich, kräftig, herzhaft, bekömmlich, herb, rustikal, feurig, mild, dezent, ursprünglich, traditionell, unverfälscht oder einzigartig.

6. Vervollständigung durch stilistische Formulierungshilfen
Stilistische Sprachelemente runden die Genussbeschreibung schließlich ab, beispielsweise Formulierungen wie mutet an, setzt Akzente, eine Hommage an, harmonisch eingebunden, abgerundet oder ausgewogen.

Der „Rubrecht Stollen“ von De’ Bäcker Becker lockt mit einer dicken Schicht aus Schokolade

Aus der Fülle der gesammelten Ideen zu jedem Stollen kann nun eine individuelle Beschreibung zusammengestellt werden. Kleinert rät, pro Produkt maximal mit drei Attributen zu arbeiten. „Das reicht, um die Aufmerksamkeit der Kundschaft zu gewinnen“, sagt er. Im Verkaufsgespräch stelle sich dann schnell heraus, ob eine Person weitere Informationen wünscht. Für den Theresienstollen könnte die passende Beschreibung am Ende zum Beispiel so klingen:

„Im Stollen treffen intensive süße Noten aus Rosinen, Marzipan und Honig auf das leicht-herbe Aroma kerniger Mandeln. Er wurde aus reinem Dinkelvollkornmehl gebacken. Feine Nuancen von Vanille, Rum und Zitrone runden das Geschmackserlebnis ab.“

Eigene Sprache entwickeln
Wichtig ist, als Team an einem Strang zu ziehen und sich inhaltlich nicht zu widersprechen. Gleichzeitig sollte jede Verkaufskraft die Freiheit haben, eine eigene, zu ihr passende Sprache im Fachgeschäft einzusetzen. Aus diesem Grund – und auch, um die eigenen Mitarbeitenden für die Produkte zu begeistern – bietet sich vor Beginn der Stollensaison stets eine angeleitete Verkostung mit allen Verantwortlichen an.

Bei diesem Anlass können die Verkaufsstrategie in Erinnerung gerufen und abgestimmt sowie neue Produkte samt Zutatenliste vorgestellt werden. Gerade das gemeinsame und bewusste Probieren ist aus Kleinerts Sicht ein Schlüsselelement im Stollenverkauf. „Du brauchst sensorisches Training, dann hast du auch Erfolg“, betont er. Gut geschultes Personal, das von der Qualität sowie dem Geschmack der Weihnachtsgebäcke begeistert ist, wird schließlich auch die Kundschaft authentisch überzeugen.


Stollen – All You Can Eat
Eine kreative Idee, um die Kundschaft von seinen Stollenkreationen zu überzeugen, entwickelte Claus Becker mit dem Stollenbuffet. An größeren Caféstandorten präsentiert er auf Servierplatten freitag- und samtagnachmittags seine unterschiedlichen Stollen. Diese können dann zum All-you-can-eat-Festpreis der Reihe nach scheibchenweise probiert werden. Auf diesem Weg testen die Gäste auch solche Sorten, zu denen sie sonst vielleicht nicht gegriffen hätten – und entdecken vielfach neue Favoriten. Der Stollenverkauf der Bäckerei profitiert stark von dieser Aktion.


Fotos:
zefirchik06


Auszug aus Ausgabe 04/2022

Dieser und weitere interessante Artikel erschienen in Ausgabe 04/2022 von BROTpro. Die komplette Ausgabe kann im Alles-rund-ums-Hobby-Shop bestellt, direkt im Browser gelesen oder über die App von BROT im Google Play Store beziehungsweise Apple App Store bezogen werden.

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Edda Klepp

Edda ist Chefredakteurin bei BROTpro und BROT. Seit 2016 bewegt sie sich in der backenden Branche und ist auch privat eine begeisterte Brotbäckerin. Wenn sie nicht gerade schreibt oder Teige knetet, ist sie häufig unterwegs zu Reportagen und Konferenzen oder lässt die Seele baumeln bei einem guten Buch und einer Tasse Tee.