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Wie Bäckereien von einer Brotprüfung profitieren

Wie Bäckereien von einer Brotprüfung profitieren

Kriterien für die Qualität von Brot

Als Brotprüfer des Deutschen Brotinstituts ist Michael Isensee beinahe täglich unterwegs, um die Eigenschaften von Broten zu untersuchen. Dabei werden auch Brotfehler, entsprechend eines vorgegebenen Schemas, klar benannt und Tipps zur Optimierung gegeben. Ziel der Prüfungen ist es, die Qualität des Handwerks stetig zu verbessern. Bei guter Beurteilung bekommen Bäckereien eine Urkunde ausgehändigt, mit der sie bei der Kundschaft werben können.

Dass der Brotprüfer Michael Isensee privat kaum noch Brot isst, erstaunt nur auf den ersten Blick. Tagein, tagaus fährt er durch Deutschland und testet Brot. Manchmal verkostet er bis zu 50 verschiedene Laibe an nur einem Tag. Die Gebäcke werden von Isensee in Augenschein genommen, gerochen, betastet und probiert. Erfüllen sie die festgelegten Qualitätskriterien des Deutschen Brotinstituts, erhalten Bäckereien eine entsprechende Urkunde. Falls nicht, wird das Urteil gut begründet und mit Verbesserungstipps ergänzt.

Brötchen-Fan

Obwohl der Prüfer sein Leben seit Jahren auf diese Weise dem Brot widmet, kommt zu Hause meistens etwas anderes auf den Tisch. „Privat bin ich Brötchenfan“, sagt Isensee. „Ich mag das Frische, Knackige. Außerdem habe ich dann auf einen Schlag gleich eine größere Vielfalt auf dem Teller.“

Gleichwohl kann er sich immer aufs Neue für Brot begeistern, sei es ein besonderes Weizenmischbrot mit Jasminreis oder ein aromatischer Laib mit frischen Apfelstückchen. „Das gibt eine Geschmacksexplosion im Mund“, schwärmt der Fachmann von vergangenen Prüfungserlebnissen.

Montags sitzt er üblicherweise im Büro. Von Dienstag bis Freitag reist Isensee dann – als einer von drei Brotprüfern des Deutschen Brotinstituts im gesamten Bundesgebiet – zu Innungen in Nord- und Mitteldeutschland. Dort können Bäckereien gegen eine Gebühr Brote zur Prüfung einreichen. Lutz Cornet, Inhaber der Berliner Bäckerei Streubel & Cornet, ist einer von ihnen. Er nutzt die Gelegenheit, Michael Isensee bei einer dreitägigen Prüfung bei der Bäcker-Innung Berlin sein Standard-Brotsortiment vorzuführen.

Die Auswahl der eingereichten Brote ist vielfältig und liegt allein in der Hand der teilnehmenden Bäckereien

„Ich habe acht Brote abgegeben, damit mir der Prüfer ein paar Verbesserungsvorschläge machen kann“, erzählt Cornet. Ein internes Qualitätsmanagement nach festen Kriterien gibt es in seinem Betrieb nicht. „Ich teste im Grunde immer, wenn ich das Brot esse, also jeden Tag“, scherzt der Bäcker. Dass der Blick von außen helfen kann, sich und die Produkte weiterzuentwickeln, davon ist Cornet überzeugt.

Damit seine Brote vom Prüfer angenommen und getestet werden, muss der Bäckermeister wie alle anderen eine Gebühr zahlen. Als Innungsmitglied profitiert er dabei von den Zuschüssen, die er durch seine Innungsbeiträge bereits entrichtet hat, und erhält einen hohen Rabatt. „Von den Richtlinien her dürfen wir Brotprüfer grundsätzlich auch Nicht-Mitglieder prüfen“, erklärt Michael Isensee. Ob Nicht-Mitglieder zu einem Prüfungstermin vor Ort zugelassen werden, entscheidet allerdings die jeweilige Innung. „Das letzte Wort hat immer der Obermeister“, so Isensee.

Alle fünf Sinne

Beim Verkosten ist der Brotprüfer mit allen Sinnen dabei: „Es geht ums Sehen, Fühlen, Riechen und Schmecken“, sagt er. „Bei Brötchen oder Baguettes kommt dann noch das Hören dazu. Da prüfen wir die Rösche, also ob die Kruste kracht. Das ist bei Broten nicht mehr sinnvoll, da sie bei der Prüfung in der Regel bereits ein oder zwei Tage alt sind.“

Um ein möglichst objektives, nachvollziehbares und auch mit anderen Backwaren vergleichbares Urteil abzugeben, läuft die Prüfung immer nach einem festen Schema ab. Geprüft werden beim Brot:

1. Form und Aussehen
2. Oberflächen- und Krusteneigenschaften
3. Lockerung und Krumenbild
4. Struktur und Elastizität (Textur)
5. Geruch
6. Geschmack

Auch wenn Isensee weiß, was bei einer Brotprüfung unter Geschmack verstanden wird, sieht er hier immer wieder Erklärungsbedarf: „Ich spreche lieber von Aroma, denn der Begriff Geschmack ist missverständlich“, erklärt er. „Es geht nicht darum, was mir schmeckt, sondern was für ein Geschmack für ein Gebäck eher üblich ist“, sagt er. So könne eine Backware zum Beispiel im Vergleich zum Standard „zu kräftig“, „zu sauer“ oder „zu milde“ sein. Ob es dann seinem persönlichen Geschmack entspreche, spiele hingegen keine Rolle.

Die Krumeneigenschaften werden bei jedem Brot genau untersucht

Beurteilungskriterien

Zur Brotprüfung in Berlin warten diesmal hundert verschiedene Brote darauf, von Isensee begutachtet zu werden. 19 Betriebe haben die Proben eingereicht und zu jedem Gebäck einen kleinen Zettel mit Informationen abgeliefert. Darauf zu lesen ist, wie das Brot heißt, welche Mehle zu welchem Anteil verwendet wurden und ob weitere Zutaten, zum Beispiel Saaten oder Nüsse, im Laib enthalten sind. Aus diesen Informationen kann der Prüfer erste Erwartungen ableiten.

Ist beispielsweise Vollkornmehl verwendet worden, ist von einer eher kompakten Krume auszugehen. Reine Weizenbrote aus Auszugsmehl geraten in der Regel lockerer als Kastenbrote mit einem hohen Vollkornanteil. Roggenbrote werden häufig mit Sauerteig hergestellt, weswegen sie Säure enthalten. Die Liste gibt dem Prüfer also erste Hinweise darauf, welche Kriterien er bei seiner Beurteilung des Brotes anwenden muss.

Oberfläche und Kruste

Zunächst wirft er dafür einen Blick aufs Äußere des Laibs. Eines der eingereichten Kastenbrote, das er begutachtet, bekommt direkt einen Punktabzug. Es hat zu viel Mehl auf der Kruste, sodass man das karierte Muster des Gärkörbchens nur erahnen kann. Die Unterseite des Brotes ist außerdem verschmutzt. „Es sieht aus, als habe man es auf einem unsauberen Blech abgelegt“, sagt der Fachmann.

Und noch etwas fällt Isensees geschultem Blick auf: Die Form des Laibs ist unregelmäßig und fällt zu einer Seite ab. „Der Teigling wurde langgewirkt und dann in die Form gelegt. Dabei muss man darauf achten, dass die Form gleichmäßig ausgefüllt ist. Schließlich will die Kundschaft gerne gleich große Scheiben haben und kein Kastenbrot, das auf einer Seite flacher ist als auf der anderen“, erklärt er.

Alternativ können Kastenbrote auch aus einem sehr weichen Teig gebacken werden, den man gar nicht erst vorformt, sondern direkt in die Backform füllt. „Da ist die Porung dann in der Regel etwas lockerer, weil keine Luft mehr beim Wirken entweichen kann“, sagt Isensee. Damit auch hierbei ein gleichmäßiges Brot entsteht, wird die Oberfläche des Teigs nach dem Befüllen glatt gestrichen.

Auch die Kruste jedes Brotes wird genau in Augenschein genommen. Ist ein Brot eingeschnitten, dann aber im Ofen kaum noch aufgegangen, hatte es möglicherweise Übergare. Isensees Tipp: „Garzeit verkürzen, früher einschießen.“ Bei anderen Broten ist es hingegen gewollt, dass sie keine Risse zeigen, beim Paderborner Landbrot zum Beispiel. Dessen Oberfläche wird vor dem Backen gestippt, also mit kleinen Löchern versehen. Aufreißen sollen die aber nicht mehr. Entsprechend vollgarig muss der Teigling in den Ofen.

Michael Isensee prüft mit allen Sinnen, zuerst nimmt er das Äußere des Brotes in Augenschein

Krumeneigenschaften

Nach dem Blick aufs Äußere eines zu begutachtenden Brotes geht’s ans Eingemachte – genauer: an die Krume. Ist sie zu feucht, bilden sich mitunter klitschige Streifen am unteren Rand des Laibs. Meist bleibt dann auch der Teig beim Schneiden am Messer kleben. Saftig sollen Brote sein, damit sie lange frisch halten. Gerät die Krume zu feucht, ist das hingegen ein Grund für einen Punktabzug. In einem solchen Fall empfiehlt Isensee, die Flüssigkeitsmenge anzupassen.

Getestet wird die Saftigkeit unter anderem, indem er mit dem Finger in die Krume drückt. Ist sie zu feucht, bleibt meist eine Delle zurück. Um gleich auch die gesamte Beschaffenheit des Laibs zu prüfen, drückt Isensee ihn außerdem leicht zusammen und schaut, ob die Krume in ihre ursprüngliche Form zurückgeht, also elastisch und stabil zugleich ist.

Auf der anderen Seite kann die Krume auch zu trocken geraten, zum Beispiel wenn Nüsse dem Teig Feuchtigkeit entziehen. In diesem Fall wäre eine Vorverquellung zu empfehlen, zum Beispiel als Koch-, Quell- oder Brühstück.

Geruch und Aroma

Bleiben noch der Geruch und das Aroma. Erst ganz zum Schluss probiert Michael Isensee das zu prüfende Brot. Vorher lässt er dessen Duft auf sich wirken. Zeichnen sich feine Röst- oder Fermentationsaromen ab? Erkennt man besondere Zutaten und Gewürze? Oder riecht der Laib eher nach nassem Mulch? Oft zeigt sich hier schon, was gleich den Gaumen erwartet.

Bei einem Fitnessbrot mit Karotten und Sonnenblumenkernen lässt die Rezeptur eine Geschmacksexplosion erhoffen. In der Praxis wird es der Erwartung nicht gerecht. „Die Kerne wurden vorab nicht geröstet. Und weil das Brot zu viel Salz enthält, wird der Eigengeschmack der Zutaten fast vollständig verdeckt“, urteilt Isensee kritisch.

Auf seinem Formular empfiehlt er, den Salzgehalt zu reduzieren und zuvor geröstete Sonnenblumenkerne zu verwenden. „Sind die Kerne auf der Kruste, rösten sie beim Backprozess. Will ich die Aromen im Brot haben, muss ich einen Arbeitsschritt mehr einbauen und die Kerne durch Röstung vorbereiten. Manche Bäckereien scheuen den Aufwand, aber er lohnt sich“, erklärt der Prüfer.

Die Form eines Kastenbrotes sollte gleichmäßig sein und nicht zu einer Seite abfallen

Gute Ergebnisse

Am Ende der dreitägigen Prüfungsphase in Berlin überwiegen die positiven Bewertungen. 68 der hundert eingereichten Brote verleiht Michael Isensee das Qualitätssiegel „sehr gut“, immerhin 23 Brote erhalten die Note „gut“. Nur 9 Brot-Proben werden am Ende nicht prämiert. Der Brotprüfer sieht das sportlich: „Der ursprüngliche Sinn der Brotprüfungen bestand darin, die Qualität zu optimieren, also handwerkliche Tipps zu geben. Im nächsten Jahr können die verbesserten Brote dann wieder eingereicht werden“, erklärt er.

Auch Bäckermeister Lutz Cornet ist zufrieden. Fünf seiner Einreichungen erhalten die Bestnote, zwei eine gute Bewertung. Nur ein Brot genügt den Kriterien des Prüfers nicht. Da jeder Punktabzug auch begründet wird, betrachtet der Bäckermeister das Ergebnis als Gewinn. „Auf dem Zertifikat steht dann ja drauf, was noch verbessert werden kann“, sagt er zufrieden.

Chancen und Grenzen

Wie Cornet nutzen viele Bäckereien die Brotprüfungen aber nicht allein wegen der Verbesserungstipps, sondern zudem für ihr Marketing. So erhält man für jedes Gebäck, das die gewünschten Kriterien erfüllt, eine Urkunde, die gerahmt im Verkaufsgeschäft für Aufmerksamkeit sorgt. Über die Innungen werden meist direkt auch ausführliche Pressemitteilungen an lokale Medien versendet, um den Werbeeffekt zu erhöhen. So soll sich die gute Qualität des Handwerks herumsprechen und für begeisterte Kundschaft sorgen.

Dass die Prüfungskriterien in Sachen Publikumsgeschmack auch an ihre Grenzen stoßen können, zeigt ein Beispiel aus Düsseldorf. Hier produziert eine Bäckerei ganz bewusst Brote mit sehr dunkler Kruste, um kräftige Röstaromen zu erzeugen. „Die Kruste der Brote würde bei einer Prüfung höchstwahrscheinlich eher kritisch beurteilt“, gibt Isensee zu. Die Verkaufszahlen zeigen hingegen: Die Brote kommen an.

Was nicht ins Schema passt, muss also nicht automatisch schlecht fürs Geschäft sein. Eine gute Kenntnis der Testkriterien hilft sicherlich dabei, für die Brotprüfungen die richtige Auswahl zu treffen. So profitiert man als Betrieb letztlich am meisten, vom Marketing-Effekt bis zu den Tipps des Brotprüfers.


Fotos:
Bäcker-Innung Berlin
Edda Klepp

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Edda Klepp

Edda ist Chefredakteurin bei BROTpro und BROT. Seit 2016 bewegt sie sich in der backenden Branche und ist auch privat eine begeisterte Brotbäckerin. Wenn sie nicht gerade schreibt oder Teige knetet, ist sie häufig unterwegs zu Reportagen und Konferenzen oder lässt die Seele baumeln bei einem guten Buch und einer Tasse Tee.